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textbefragung

beitrag von: Kiefer.Claudia

Leerstelle /im Schweigen

Es wird viel Lärm gemacht 
und Wind,
das Schweigen schweigt sich ein, 
 es sitzt am Fenster,
bescheiden wie es ist
und würd' so gerne schreien. 

Jetzt sag' schon, sag',
ein Donnerschlag folgt auf den Blitz,
ein Ticken, zwei -
der Regen tropft auf's Fensterbrett, 
und in den Wolken
 verstecken sich die Leisen.

Inmitten
unter uns, an jedem Tisch
sitzt einer, 
eine, 
raucht, sagt nichts -
ein unsichtbares Ich,
was viel zu sagen hätt',
doch Wörter schluckt wie Erde Regen.

Hier werden Worte stets vermessen,
andere springen ein,
sie lassen keine Lücken,
das Schweigen sitzt am Fenster,
lässt alles sein,
weil alle immer lauter reden,
weil alle immer lauter sind.

Es wird viel Lärm gemacht 
und Wind,
das Schweigen schweigt sich ein, 
 es sitzt am Fenster,
bescheiden wie es ist
und würd' so gerne schreien. 

// Das abstrakte im Gedicht lässt Fragen offen aus meiner Sicht: Ist es das lyrische Ich, das aus dem Schweigen ausbrechen will, auf die Redepause wartet, die Lücke, um die Stimme zu erheben? Das lyrische Ich, was übertönt wird vom Lauten und daher meistens schweigt. Das scheint mir am Wahrscheinlichsten.
Ich lese die Leerstelle als Unterbrechung des Schweigens.

 ODER
Ist es ein Parlament der Schweigenden, die alle darauf warten, dass einer aus der Mitte spricht? Ja Vielleicht sogar die Wut über das mehrstimmige Schweigen? 

ODER
Ist die Leerstelle ein Fenster in einem Haus, aus dem das lyrische Ich die Welt still betrachtet?

review von: nora gomringer

ODER
Ist es einfach, was es ist? Eine veritable „Darstellung“ und performative „Aktion“ von Schweigen. Eine Unmöglichkeit scheint gelungen. Das Schweigen darzustellen in der Aktion (des Lesens zB). 

Die Leerstelle scheint die meisten, die dieses Gedicht hier besprechen und befragen, ein bisschen zu quälen. Es ist wohl unaushaltbar in seiner Monumentalität. Auch Sie haben einen lyrischen Text daraus geschürft, geben einer erklärenden Haltung, die vielleicht ein Bedürfnis klärt?, Raum. Ich mag Ihre Gedanken sehr. „ein Parlament des Schweigens“ ist groß und auch „in den Wolken/verstecken sich die Leisen“. Auch dieser Gedanken kommt in einem anderen Gomringer-Gedicht vor, aber das ist ein anderes Thema und soll an anderer Stelle erörtert werden. Danke für das Aufrufen dieser Erinnerung für mich. Ihre NG