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beitrag von: Theodora

Dialog zum Schweigen

(1) Dialog zum Schweigen

A: Dein Mund ist ein unbeschriebenes Rechteck!/
B: Bald kommt alles raus.


(2) Haiku

Dem Schw-eigen wohnt das/
eigen inne. Oft ist’s mehr/ 
als schrill zu Dumm-pfen/

review von: nora gomringer

Toll – produktiv. Dieses Bildgedicht weckt in Ihnen auch gleich zwei Formvarianten. Diesen Dialog möchte ich gerne in einem Theaterstück hören. Ich finde ihn besonders, ungehört. Der Mund ein Rechteck, das finde ich eine intellektuelle Entscheidung, denn das Rund des offenen Mundes wird außer Acht gelassen und etwas anderes bewusst schon mittransportiert. Das Rechteck ist für mich der Satzspiegel, die Seite, der Anblick von Text.
Und hier eben kein „Zutexten“ des anderen. Und B, der sagt, dass bald – ja trotzdem?! – alles rauskommt – weil es ja auch nicht immer auf den Sprecher ankommt, sondern auf sein Umfeld. Dieses alles kommt raus ist immer stark als Bild – denn es ist Erbrechen, Ausfließen, Wahrheit sagen, Lüge aufdecken, sich-Ergießen. Alles. Im Schweigen scheint ja immer etwas bewahrt. Wie in Gelee. In Zeit konserviert, unantastbar. Hier wird aktiviert. Und wir haben Präsenz und Zukunft mit dem mahnenden „bald“ – gut. 
Das Haiku ist ein klassisches mit den 5-7-5-Silben in Verteilung. Das Enjambement von Vers 1 auf Vers 2 ist mir persönlich zu viel auf Spiel aus. Da bin ich relativ traditionell beim Haiku, das ja auch abgeschlossene Bilder in den Versen bevorzugt. 
Im Schweigen wohnt es.
Das „eigen“ darin ist mehr,
als nur schrill zu ein.   
– Sie merken, das Dummpfen erklärt sich mir nicht. Ich kann es leicht gedanklich auslassen. Es soll eine Zusammenziehung aus dumm und dumpf und eine Nominalisierung sein? Ich find sie unnötig und befremdlich. Aber Sie sehen, sie stösst etwas an. Danke Ihnen! Herzlich, Ihre NG
Veronika Seethaler sagt
05.03.2022 17:13
Danke! Freut mich sehr, dass mein Dialog etwas anregt.

Ja, das haiku ist im Vergleich dazu Klamauk, so empfinde ich es.