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textbefragung

beitrag von: kathi

Der Freund


Siehst mich in Not,
siehst mich nicht.

'Habe bereits genug Freunde im Leben.'

Siehst mich im Brot,
siehst mich.

review von: nora gomringer

Schöner Freund, pah! Doch halt! Freundschaft ist auch immer ein Angebot, das nicht erwidert werden muss. Einer ist bereit, der andere nicht. Es ist eine Sache des Funkens und des Empfangens. Nicht immer ist beides aufeinander eingestellt. Gut sind diese ersten beiden Zeilen. Dieses Sehen und gleichzeitig nicht sehen. Sie gehen nicht auf irgendeinen politischen oder historischen Hintergrund ein, lassen nichts in dieser Art einfließen, weshalb ich annehme, im Generellen Ihren Text kommentieren zu dürfen. Wer in Not ist, bedarf der Hilfe. Schon beim Erst-Hilfe-Kurs ist die erste Regel: Wer Hilfe braucht, muss vom Helfer angesprochen werden. Vor allem, wenn das Opfer ohnmächtig ist, sich nicht selbst helfen kann. Sie sehen, ich interpretiere „sehen“ gleich mit wahrnehmen und betrachte es als umfassend. Warum aber soll ein Freund helfen? Ist dies seine Aufgabe, macht ihn das zum Freund? Ist das Helfen, das Sehen das Kriterium? Ich habe persönlich Freunde, die mir nicht helfen können, konnten oder die ich gar nicht erst als Helfer andenke. Oft ist mir im Leben wesentlich mehr Hilfe von nicht allzu nahen Menschen widerfahren. Auch ein Arzt ist selten ein Freund. Erst dachte ich, es sei ein bisschen biblische und Märchengerechtigkeit in den ersten und letzten beiden Verspaaren,  - also ein solches für ein solches o.ä. - aber dann habe ich nochmal genau gelesen. Darum ging es gar nicht. Es scheint mir die Charakterisierung zweier zu sein. Das eine ich, das andere. Sklave und Fürstin, zwischen ihnen steht „das Unmöglich“. Das ist eine interessante Version des Heine’schen Textes, der ja ein Text auf eine unmögliche Liebe ist – die von Stände-Verboten verunmöglicht wird. Niemals Freunde – niemals Geliebte. Meine Mutter hat mir diesen Text immer mit Wonne vorgelesen, als ich ein Kind war. Für sie war unerfüllte Liebe viele Male wahr gewesen im Leben und sie hat im Heine’schen Ton ihre Tochter schon mal auf die Lakonik der Welt vorbereitet. Danke, dass Ihre Zeilen bei mir viel Spekulation und Nachdenken wecken! Ihre NG
Kathi Peschta sagt
05.03.2022 21:56
Vielen Dank für Ihre Antwort. Ich bin etwas sprachlos, es ist mir eine große Freude, dass Sie sich so viele Gedanken gemacht haben. Was mir noch dazu einfällt ist vielleicht der Hintergrund, dass es eine Not gibt, an Erfüllung und Freundschaft, die aus einem Misstrauen geweckt ist, einer kapitalistischen Verwertbarkeit zugeführt werden zu müssen, in irgendeiner Form. Das schlichte Beitragen, was man ist und kann, reicht nicht, auf dem Markt (auch oder vor allem ? der Kunst), es wird nur dann wert geschätzt, wenn es für wen anderen einen Mehrwert bringen kann. Was ja nicht schlecht ist, denke ich an Erfahrungs- und Wissensschätze. Oder das Berührt werden von einem Werk. Wie schön es wäre, das ohne Gegenwert in Geldform herstellen zu dürfen. Die Freiheit der Kunst als Utopie, aber jetzt bin ich woanders als ich hinwollte. Wobei - die Klassengrenzen passen wieder. Ich werde noch nachdenken über Ihre Worte, vielen Dank und beste Grüße, Kathi