beitrag von: ALRiegraf
(k)eine Hymne; für meinen Grossvater
Gesammelte Briefe und Texte
und Noten von deinen Chansons
kleine Berge in dicken Paketen
liegen ruhig in den festen Kartons
Doch die Rücken der älteren Verse
tauchen auf, wann immer ich schreib
Ihre Gipfel in sonnigem Frühling
mahnen an, man habe noch Zeit
Doch die neuen betagteren Reime
bauen langsam ein Sommertal auf
und so manche von ihnen entschwinden
treiben weg in pastellblauem Rauch
wie einst jener aus deiner Pfeife
oder der vor der Ofenbank
spür die Zeilen im Mund und der Nase
bind sie fest an ein inneres Band
Längst frier ich trotz des Feuers im Ofen
Lese ich bald dein letztes Wort?
Schreibst du noch, wenn ich einmal ein Kind hab?
Trägt dein Wort meines mit sich hinfort?
Wie gelängen mir meine Gedichte,
wenn der Winter uns eingeholt hat?
Ich wünschte, das müsst ich nicht fragen;
schon gar nicht an einem Grab.
Heute blühn noch die alpinen Veilchen
und der Herbst hält die Früchte sanft fest
Doch die Hymne konnt ich dir nicht schreiben
Weil die Angst vor dem Eis mich nicht lässt.
review von: nora gomringer
Sie spielen faszinierend mit dem ersten Bild, das Sie entwerfen: Die zu Bergen aufgeworfenen Schriften und Erinnerungswerken des Großvaters. Auf einmal ist da eine Landschaft vor dem Leserauge. Eine Landschaft aus Versen, die „buckeln“ und herausfordern wie hohe Berge es eben auch dem Wanderer antun. Dann bleibt es interessant, aber ich frage mich, was neue und gleichzeitig betagtere Reime sind. Pfeifen-Bild ist wieder gut und funktioniert – nur stört mich die antikisierende Sprache. Ich verstehe, dass der Ton getragen und würdig und überzeitlich sein soll, aber man liest den Versen an, dass sie sich noch runden könnten – ohne sich kringeln zu müssen. Sie verstehen sicher, was ich meine. Die Angst vor dem Winter setzte dann ein und ich verstehe, dass das die Angst vor Tod und Abschied ist. Ich mag die „alpinen Veilchen“ nicht. Alles danach ist geschwungen und gut. Die Zerteilung der Alpenfeilchen in dieser Weise macht sie zu technisch. Machen Sie „kleinen“ daraus und Sie sind trotzdem noch in Wald- und Bergkontext damit. Außerdem sind die kleinen Veilchen auch furchtsamer dem Winter gegenüber. Wie schön Sie lieben und verehren. Und wie es Ihnen im dreihebigen Jambus gelingt. Ist es ein Jambus? Ich habe es brav im kleinen Cafe skandiert und meinem Tischnachbarn gesagt: Hier kann einer noch ganz gut den Rhythmus. Und er hat sich gefreut. Ihre NG
haben Sie vielen Dank für diese schöne, ausführliche und so konstruktive Rückmeldung! Das mit dem Kringeln verstehe ich sehr gut. Ich musste manche Verse aus Platzgründen (und damit der Rhythmus weiter funktioniert) ein wenig hineinschustern.
Ich werde den Text ein wenig liegen lassen und wenn es so weit ist, mit all Ihren Anregungen nochmal an ihn herangehen.
Zu wissen, dass Sie ihn schon im Café vorgetragen und die Verehrung verstanden haben, macht mich glücklich und zuversichtlich, ihn bald auch dem Großvater zukommen lassen zu können.
Beste Grüße!