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der wilhelmsschrei aus deinem mund – wenn autofiktion & horror zusammentreffen!

beitrag von: Margott

Sozialamt

Sagen wir, ich brauchte Geld und schmiss das Literatur-Studium in Leipzig. Fing als Sachbearbeiter beim Sozialamt an. Es gibt hier seltsamere Biografien: Sängerinnen, Ofensetzer. Als Kind hat sich niemand einen Stempel zu Weihnachten gewünscht. Immerhin verfasse ich oft Texte für Grußkarten; runde Geburtstage etc. Paargereimte Alexandriner sind der Weg. Aber auch der Autor, der nicht schreibt, sucht ständig einen Stoff und dann findet der Stoff ihn. Ich reiße einer Aktenseite mit dem Entklammerer das Ohr ab, da klingelt das Telefon. Der Stoff ruft an, aber ich kenne die Anruferin. Darum will ich nicht abnehmen. Kostenübernahme der Sozialbestattung ihres Sohnes. Nach dem fünften Läuten überwinde ich mich.
„Herr Gottschall, wollen Sie sagen, dass ich immer einen neuen Antrag stellen muss, wenn ein Körperteil gefunden wird?“, fragt sie.
Ich weiß es nicht und sage: „Ja.“
Die Bestattung eines einzelnen Armes kostet weniger als eine gewöhnliche, aber immer noch mehr, als Sie glauben.

review von: peter waldeck

Da stimmt einfach alles. Supertext, Superstil. Das ist autofiktional und streift aber nach ein paar Sätzen elegant und ohne die Realität zu verlassen das Dunkle, das Horrorhafte. Taugt mir sehr!
Superstelle: Ich weiß es nicht und sage: „Ja.“

Chapeau! Chapeau! Chapeau!
Markus Gottschall sagt
18.10.2023 18:10
Danke!