beitrag von: stadtwie
Wiener Grant
Sie spürte es deutlich... dieses Herangrollen einer unfassbaren Wut. Etwas begegnete ihr und ärgerte sie im Kopf. Je mehr Gedanken sie darauf verschwenden musste desto genervter und angespannter wurde sie. Die Wut wanderte in den Bauch, legte dort ein rasantes, überwältigendes Wachstum ein, wurde unerträglich. Sie spürte ihr Herz pochen, bereit, alle Grenzen zu sprengen. Es entstand ein toxischer Zirkulationsprozess. Ihre Gedanken explodierten, ihr Unterleib schwoll an und führte nach kurzer Phase von elendigem Schmerz zu einer absonderlichen, ekelhaften, befreienden Geburt von Wut auf das Außen, das ihren Ruhezustand bedrohte, möglicherweise verletzte: Menschen,Autos,Ampelschaltungen,Zugausfälle,Hundekacke,usw. So verwandelte sie sich in die grantige Göttin des Zorns, des unendlichen Blutes und der Hormone, unterdrückt und bereit, auszuholen, zu erkunden. Ihr Geist nahm eine kristallene Gestalt an und schenkte ihr ein Gedankenschwert. Sie ergriff es und durchschnitt den Moment.
review von: peter waldeck
Yes, yes, yes, weibliche Wut! Wie schön.
Gibt mir der Titel "Wiener Grant" subtil zu verstehen, dass dieser Text in einer Dystopie/Utopie (je nachdem, wie man es betrachten will) spielt, in der Wien nur noch von Frauen* bewohnt wird?
Der Text ist schon sehr wuchtig, du könntest probieren, ihn durch Kürzungen noch druckvoller zu gestalten. Probier mal, wie es sich liest, wenn du Satzteile (oder auch, wenn du dich traust, ganze Sätze) streichst.
Dann auch die ewige Frage mit den Adjektiven: Manche Puristen wollen sie nahezu völlig aus Texten vertreiben, Autoren wie Christopher Just und Mircea Cârtârescu pfeifen auf diese Regel und verbringen mit nicht enden wollenden Paraden von Adjektiven die wunderbarsten Dinge.
In deinem Text zeigt sich dieses Dilemma recht gut. Ich würde sagen, dass das "Herangrollen einer Wut" stärker wirkt als das "Herangrollen einer unfassbaren Wut“; wenn allerdings später im Text von der „absonderlichen, ekelhaften, befreienden Geburt“ die Rede ist, passen die Adjektive wunderbar. Einfach ausprobieren und laut vorlesen, bis der Rhythmus passt!
Zum Schluss: Wie ich in anderen Texten schon bemerkt habe, wir haben in diesem Kurs keine Berührungsängste mit Horror! Im Gegenteil, ich feiere und förder das (bald fordere ich es ein)!
Wie wäre es, wenn der Hauptfigur kein Gedankenschwert von einer kristallenen Gestalt geschenkt wird, sondern ein echtes Schwert von einer echten Person? Vielleicht haben wir es hier mit einer alternativen Gesellschaft zu tun, ähnlich wie in der Filmreihe „The Purge“, und Frauen* wird es während ihrer „unfortunate time of their monthly cycle“, um mit Mikeala Shifrin zu sprechen, ausdrücklich gestattet, ihren weiblichen Zorn mit allen Mitteln auszuleben, Blut, Gewalt, wüstes Anschubsen inkl.
Am Ende winkt da noch ein Buchvertrag.
Die Attribute werde ich weiter untersuchen, das macht Spaß! Zum Gedankenschwert der kristallenen Gestalt: diese ist bewußt emotional gewählt, genau weil es ein Gegenpol zum blutigen Barbarenschwert ist. Es ist ein bisschen ein Kampf: rohe Gewalt gegen feine Gedanken.