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zum tod von steve jobs

so wie plato für den übergang von oralität zu literalität steht, steht steve jobs für den übergang von literalität zu cross media, von analog zu digital, von mundwerk zu schriftwerk zu netzwerk.

zum tod von steve jobs

was der griechische philosoph in der mündlichen lehre und in den geschriebenen dialogen bewerkstelligt hat, hat der amerikanische entrepreneur mit technik, design und marketing bewerkstelligt: eine grundlegende neubewertung der kriterien von sprache und kommunikation, eine restrukturierung der basis von zivilisation und kultur.

mein initiationserlebnis: anfang der 1990er jahre der macintosh classic-computer mit seinem noch ziemlich lauten gebläse und dem linierten rahmen unterhalb der menüleiste. keine texte mehr, die mit durchschlagpapier in die schreibmaschine getippt, danach mit der schere zerschnitten, mit tixo oder uhu neu zusammengeklebt und via xerox umkopiert werden mussten, sondern eine digitale buchstaben- und zeichenfolge, die mit

ausschneiden&einfügen, mit copy&paste bearbeitet wird ... danach der imac, das apple powerbook, das apple laptop, die verschiedenen standgeräte mit ihren immer umfangreicher werdenden speicherräumen, die es ermöglicht haben, alte zeichnungen, tonband-, super-8- oder videoaufnahmen nach und nach mit den diversen schriftgebilden zu verbinden und so zu einer art synchronen behandlung von akustischer, visueller, performativer und literaler poesie zu gelangen, die in der analogen welt in dieser form nicht zu realisieren war. steve jobs hat die zwischen buchdeckeln vor sich hin staubende poesie endgültig begraben und ihr anderswo einen neuen, ihr angemessenen atemraum geöffnet.

die schule für dichtung (sfd) hat sich in der diskussion zwischen microsoft/pc und apple/macintosh für letztere entschieden und ist damit gut gefahren. vor allem im bereich der interaktiven tools, die für die entwicklung und gestaltung der digitalen klassenräume erforderlich waren, haben sich von apple entwickelte oder mit apple kompatible programme als hilfreich erwiesen. die kriterien waren und sind: übersichtlichkeit, schnelligkeit, design, userbility, verständlichkeit und kommunizierbarkeit und ... der umstand, dass so gut wie alle festivals, ateliers oder studios, mit denen die sfd zusammenarbeitet, filemaker (datenadministration), protools (audio) oder final cut (video) verwenden.

unvergessen: wie h.c. artmann im sommer 1997 erstmals eine mouse in die hand nimmt, sie über das pad führt (auf dem eine abbildung des steins von rosette zu sehen ist), via tastatur ein codewort eingibt und damit eine von ihm geleitete online-klasse eröffnet, die übungen zur montagetechnik anbietet ... dass er es in dieser klasse nicht – wie üblich – mit 12 , 16 oder 20, sondern mit über 100 studierenden zu tun haben würde, die sich nicht – wie üblich – unter dem eigenen namen angemeldet hatten, und nicht alle aus wien, aus österreich, aus europa stammten, war für ihn (und für die sfd) eine neue erfahrung ...

wer ist wer? was ist was? wo ist wo? wie ist wie? was ist lokal? was ist dislokal? was ist dispers? was ist ein analoges wort? was ist ein hypertext? was ist konkret? was ist anonym? was ist identität? gibt es die digitale melancholie? warum verwendest du andere schriftzeichen als ich? ist das konsekutive, historische denken nun zu ende? was lerne ich von angesicht zu angesicht? was lerne ich von monitor zu montior? was heißt "schnarchen" auf quechua?

dass es heute poesieschulen und creative writing institute gibt, die es um die jahrtausendwende noch nicht gegeben hat, dass es zahllose poesiefestivals gibt, die es in den 1970er und 1980er jahren noch nicht gegeben hat, hat etwas damit zu tun, dass sprachliche traditionen nun aufbrechen, dass nationale schranken sich öffnen, dass andere literaturen nun per mouseclick verfügbar sind, dass der gebrauch von sprache sich radikal wandelt, dass das schreibpult, die rednerkanzel, der lehrstuhl um eine vielzahl von podien und foren erweitert werden, und dass dafür werkzeuge zur verfügung stehen, die – in der fortwährenden erneuerung – ein fortwährend neues erlernen und  lernen stimulieren.

dafür sei dem verstorbenen herzlich gedankt.

 

christian ide hintze
6. oktober 2011