beitrag von: samarkand
Grenzgehen. Ein Erfahrungsbericht.
Grenzgehen: Ein
Erfahrungsbericht
Meine Sozialisation begann
mit Guatemala, 1998. Menschenrechtsbeobachtung in einem Widerstandsdorf. Dann der
Marsch der Zapatisten in Bussen von San Cristobal nach Mexiko Stadt. Bei den Tute
Bianche, IWF Prag 2000. G8 Gipfel Genua 2001. Alleine über die Grenze nach
Nicaragua zu Ex-Sandinistas. Alleine den Dschungel durchquert. Mit dem Rucksack
gestoppt ohne Schuhe und mit italienischen Anarchisten. Immer auf Achse. 2003
dann durfte ich dann nicht nach Amerika einreisen. Ein Grenzbeamter fischt mich
aus dem kläglichen Haufen MexikanerInnen, die mit mir frühmorgens übermüdet vor
einer Grenzstation warten. Ich habe einen österreichischen Pass, gültig, eine funktionierende
Visakarte und ein Rückflugticket. Ziel meines Aufenthaltes ist ein Exfreund in
San Francisco, überwachter Aktivist, einer der ersten bei den WTO Protesten in
Seattle1999.
Ich darf also nicht
hinein. Nach drüben. Nach Amerika.
Warum nicht?
Der Grenzbeamter meint, man
sieht doch, dass ich, mit dem winzigen Rucksack sowie einer Tasche Bücher,
sowie klassisch -einer Gitarre, nach Amerika auswandern werde.
Aha. Warum also nicht?
Der Grenzbeamter meint, man siehe doch, dass ich, mit meinem Rucksack, dem Bündel Bücher und der Gitarre eine Gefahr für die Welt darstelle. Für wen genau?
Für alle. Er muss mir das erklären. Ich muss ihm in einen Glaskasten folgen, wo er sich auf einem bequemen Drehsessel die nächsten sieben Stunden vor mir drehen wird, und in dem ich gefangen bin, sieben Stunden lang, ohne Möglichkeit, eine Toilette zu besuchen, ohne Wasser oder Essen. Nach mehreren Wochen in abgelegenen Zapatistendörfern, mit den Sternen über meinem Kopf und den Stimmen der verabschiedeten Kinder im Ohr, bin ich müde. Warum also nicht? Weil ich, so wie ich bin, sein Land in Gefahr bringe. Weil es nicht geht. Weil ich nicht einreisen kann. Ich kann es nicht glauben. Ich schreibe alles mit. Immer wieder steht er auf, tippt draußen in einen Computer, telefoniert, kommt wieder zurück. Ich denke an meine Rechte. Habe ich Rechte? Wird es mir gelingen, ihn zu überzeugen, dass ich, österreichische Staatsbürgerin, mit gültigem Pass, Kreditkarte, Rückflugticket, das Recht habe, hätte, in den Bus, der draußen auf mich wartet, zu steigen und die zehn Minuten Busfahrt nach Amerika hinter mir zu bringen? Zehn Minuten? Kann er nicht lesen? Gefällt ihn mein Outfit nicht? Ist etwas an meinem Akzent falsch? Ich war schon in Amerika, habe Amerika durchquert von Mexiko bis New York, das ist alles nicht neu. Habe ich etwas falsch gemacht? Steht irgendwo vielleicht, dass ich in Genua war? Dass ich die Zapatisten nach DF begleitete? Dass wir in Genua friedlich demonstrierten? Habe ich etwas gestohlen? Demoliert? Jemanden angegriffen? Steuergelder entwendet? Eine Bank unterstützt? Etwas geklaut? Habe ich irgend etwas falsch gemacht? Nein. Warum kann er sich dann nicht erklären. Ich warte und zermartere mir den Kopf. Ich habe keine Telefonnummer und weiß auch nicht, wen ich anrufen könnte und mir überhaupt jemand helfen könnte. Ich bin nicht berühmt. Was soll ich dann erklären? Dass man mich festhält, einsperrt, dass man mir mein Rechte verweigert? (Welche?) Dass der Grenzbeamte aufsteht, mit seiner Pistole wackelt, dass ich Angst habe, vor Pistolen, dass ich seit Genua traumatisiert bin, dass ich es nicht mag, dass er so mit der Pistole vor mir wackelt, dass es jetzt ernst wird. Was ist ernst? Vielleicht bin ich einfach im falschen Film. Ich warte einfach. Ich tue so, als ob es nur eine Frage der Zeit wäre, bis jemand kommt und mir sagt, Entschuldigung, das war nur eine Übung. Wir übten uns in Unmenschlichkeit. Entschuldigung. Es hat Sie getroffen, aber es wird nicht noch mal passieren. Aber es kommt niemand. Der Busfahrer, der zuerst noch wartete, gibt irgendwann auf und fährt mit der übrigen Mannschaft weg. Meine Busfahrkarte ist hinfällig geworden. Ich mache ihm nicht den Gefallen, und weine nicht. Nach sieben, acht Stunden Hitze, ohne Toilettenbesuch, ohne Anruf, ohne Wasser, darf ich gehen. Ein Taxifahrer wartet auf mich, draußen vor der Tür, er nimmt auch eine zweite Frau mit, die, wie sich später herausstellt, in der Stadt wohnt und „drüben“ mit ihrem Partner ein Geschäft hat und man ihr trotzdem oder deswegen regelmäßig den Grenzübergang verweigert. Ich denke mir, weil ich zynisch bin und lachen muss über uns traurige Vögel, dass der Grenzbeamter einen Deal mit dem Taxifahrer hat, damit er Leute wie mich zurück bringt, um einen, wie sich später herausstellen wird, Monatslohn eines mexikanischen Bauern, ja, denke ich mir, das ist es. Ich hebe mir die Bustickets aus, aus Trotz. Ich frage mich, ob ich sie je brauchen werde, ob ich zurück dann in Österreich je jemand beweisen werde, dass ich nicht nach Amerika gelassen wurde. Ob es dann auch wichtig ist. Es verletzt mich, dass es diesem Mann gefällt, mich sieben Stunden lang festzuhalten, geschäftig nach draußen zu laufen, im Computer nachzuforschen, mit seiner Pistole zu wackeln, dem es gefiel, zu sehen, wie müde und nervös ich wurde. Das ist alles nur Willkür und Macht, denke ich mir, aber ich habe in meinem Leben schon genug Polizeigewalt erlebt, ich habe die Macht in allen Facetten gesehen, ich habe gesehen, wie man Frauen und Kinder behandelt, in dieser machtregierten Welt. Ich denke an all die Schikanen, die mexikanische StaatsbürgerInnen jeden Tag erleben, ich denke an die Kinder mit denen ich arbeitete, unternährte Babies, die aus wirtschaftlichen Gründen starben, an so viel Unrecht und Empörung denke ich, dass mir meine Geschichte wieder klein vorkommt. Und dann gibt es nicht mehr die Erinnerung an den Ärger über einen Verlorenen, der aus Lust an der Macht handelte, sondern die Erinnerung an die, die weitergehen. Ich denke an die Frau, diese Frau, die mit mir über die Brücke fuhr, schweigend, wissend. Wissend, dass uns Unrecht getan wurde, wissend, dass wir keine Chance hatten, dass uns niemand gehört hätte. Wie so viele. Ich möchte meine Energie denen geben, die verzeihen, und nicht denen, die stehen bleiben.
Der Grenzbeamter meint, man siehe doch, dass ich, mit meinem Rucksack, dem Bündel Bücher und der Gitarre eine Gefahr für die Welt darstelle. Für wen genau?
Für alle. Er muss mir das erklären. Ich muss ihm in einen Glaskasten folgen, wo er sich auf einem bequemen Drehsessel die nächsten sieben Stunden vor mir drehen wird, und in dem ich gefangen bin, sieben Stunden lang, ohne Möglichkeit, eine Toilette zu besuchen, ohne Wasser oder Essen. Nach mehreren Wochen in abgelegenen Zapatistendörfern, mit den Sternen über meinem Kopf und den Stimmen der verabschiedeten Kinder im Ohr, bin ich müde. Warum also nicht? Weil ich, so wie ich bin, sein Land in Gefahr bringe. Weil es nicht geht. Weil ich nicht einreisen kann. Ich kann es nicht glauben. Ich schreibe alles mit. Immer wieder steht er auf, tippt draußen in einen Computer, telefoniert, kommt wieder zurück. Ich denke an meine Rechte. Habe ich Rechte? Wird es mir gelingen, ihn zu überzeugen, dass ich, österreichische Staatsbürgerin, mit gültigem Pass, Kreditkarte, Rückflugticket, das Recht habe, hätte, in den Bus, der draußen auf mich wartet, zu steigen und die zehn Minuten Busfahrt nach Amerika hinter mir zu bringen? Zehn Minuten? Kann er nicht lesen? Gefällt ihn mein Outfit nicht? Ist etwas an meinem Akzent falsch? Ich war schon in Amerika, habe Amerika durchquert von Mexiko bis New York, das ist alles nicht neu. Habe ich etwas falsch gemacht? Steht irgendwo vielleicht, dass ich in Genua war? Dass ich die Zapatisten nach DF begleitete? Dass wir in Genua friedlich demonstrierten? Habe ich etwas gestohlen? Demoliert? Jemanden angegriffen? Steuergelder entwendet? Eine Bank unterstützt? Etwas geklaut? Habe ich irgend etwas falsch gemacht? Nein. Warum kann er sich dann nicht erklären. Ich warte und zermartere mir den Kopf. Ich habe keine Telefonnummer und weiß auch nicht, wen ich anrufen könnte und mir überhaupt jemand helfen könnte. Ich bin nicht berühmt. Was soll ich dann erklären? Dass man mich festhält, einsperrt, dass man mir mein Rechte verweigert? (Welche?) Dass der Grenzbeamte aufsteht, mit seiner Pistole wackelt, dass ich Angst habe, vor Pistolen, dass ich seit Genua traumatisiert bin, dass ich es nicht mag, dass er so mit der Pistole vor mir wackelt, dass es jetzt ernst wird. Was ist ernst? Vielleicht bin ich einfach im falschen Film. Ich warte einfach. Ich tue so, als ob es nur eine Frage der Zeit wäre, bis jemand kommt und mir sagt, Entschuldigung, das war nur eine Übung. Wir übten uns in Unmenschlichkeit. Entschuldigung. Es hat Sie getroffen, aber es wird nicht noch mal passieren. Aber es kommt niemand. Der Busfahrer, der zuerst noch wartete, gibt irgendwann auf und fährt mit der übrigen Mannschaft weg. Meine Busfahrkarte ist hinfällig geworden. Ich mache ihm nicht den Gefallen, und weine nicht. Nach sieben, acht Stunden Hitze, ohne Toilettenbesuch, ohne Anruf, ohne Wasser, darf ich gehen. Ein Taxifahrer wartet auf mich, draußen vor der Tür, er nimmt auch eine zweite Frau mit, die, wie sich später herausstellt, in der Stadt wohnt und „drüben“ mit ihrem Partner ein Geschäft hat und man ihr trotzdem oder deswegen regelmäßig den Grenzübergang verweigert. Ich denke mir, weil ich zynisch bin und lachen muss über uns traurige Vögel, dass der Grenzbeamter einen Deal mit dem Taxifahrer hat, damit er Leute wie mich zurück bringt, um einen, wie sich später herausstellen wird, Monatslohn eines mexikanischen Bauern, ja, denke ich mir, das ist es. Ich hebe mir die Bustickets aus, aus Trotz. Ich frage mich, ob ich sie je brauchen werde, ob ich zurück dann in Österreich je jemand beweisen werde, dass ich nicht nach Amerika gelassen wurde. Ob es dann auch wichtig ist. Es verletzt mich, dass es diesem Mann gefällt, mich sieben Stunden lang festzuhalten, geschäftig nach draußen zu laufen, im Computer nachzuforschen, mit seiner Pistole zu wackeln, dem es gefiel, zu sehen, wie müde und nervös ich wurde. Das ist alles nur Willkür und Macht, denke ich mir, aber ich habe in meinem Leben schon genug Polizeigewalt erlebt, ich habe die Macht in allen Facetten gesehen, ich habe gesehen, wie man Frauen und Kinder behandelt, in dieser machtregierten Welt. Ich denke an all die Schikanen, die mexikanische StaatsbürgerInnen jeden Tag erleben, ich denke an die Kinder mit denen ich arbeitete, unternährte Babies, die aus wirtschaftlichen Gründen starben, an so viel Unrecht und Empörung denke ich, dass mir meine Geschichte wieder klein vorkommt. Und dann gibt es nicht mehr die Erinnerung an den Ärger über einen Verlorenen, der aus Lust an der Macht handelte, sondern die Erinnerung an die, die weitergehen. Ich denke an die Frau, diese Frau, die mit mir über die Brücke fuhr, schweigend, wissend. Wissend, dass uns Unrecht getan wurde, wissend, dass wir keine Chance hatten, dass uns niemand gehört hätte. Wie so viele. Ich möchte meine Energie denen geben, die verzeihen, und nicht denen, die stehen bleiben.
der grenzübergang war matamoros - brownsville....