beitrag von: bitter
© andy urban
17 - urban loritz platz: Interview mit Frau Berkel am 4. Jänner 2016, Urban Loritz Platz, 1070 Wien
Guten Tag, Frau Berkel, darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen? Sie müssen etwas lauter mit mir sprechen. Ich höre nicht mehr so gut. Seit wann stehen Sie schon hier? Sicherlich schon über hundert Jahre. Ich zähle keine Jahre, ich zähle nur Kilos und Gramm. Wie viel wiegen Sie? Auf jeden Fall unter hundert Kilo, bei mir selber nehme ich es nicht so genau. Es spielt keine Rolle. Was spielt eine Rolle für Sie? Die Genauigkeit, bei mir gibt’s kein „Darf’s ein bisschen mehr sein?“ Und meine Zeiger liegen mir natürlich sehr am Herzen, sie sind mein ein und alles. Was schätzen Sie an diesem Ort? Vor allem die Ausländerinnen, aber auch die Ausländer, ich mag auch den Autolärm und die Gerüche von den Imbissständen. Ich komme ja vom Land, da genießt man das Großstädtische schon sehr. Am liebsten hab ich aber die Straßenbahnen, ich kenne alle Fahrer vom Sechser und vom Achzehner. Es ist ein guter Platz, ich möchte nicht tauschen. Wie sieht ihr Alltag aus? Ich beobachte hauptsächlich, Tag und Nacht, das ist recht ergiebig. Wie gesagt, es ist ein guter Standort, ich kann mich nicht beklagen. Was wünschen Sie sich, Frau Berkel? Aufmerksamkeit hin und wieder tut natürlich gut. Es geht mir nicht um die zwanzig Cent beim Abwiegen. Ich mag es nicht, wenn man mich übersieht. Ansonsten bin ich ganz zufrieden. Bin gern da, wo ich bin. Hab viel gesehen und gehört. Natürlich bin ich eine alte Waage, schauen Sie genau, dann finden Sie Rostflecken und Dellen. Danke für das Interview und alles Gute für die Zukunft!