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schmutz und schund

beitrag von: Gruftikuss

Erster Satz 3. Teil

Es gibt drei Badezimmer. Eines davon ist ein richtiges Gebäude und hat eine richtige Türe, die man verschließen kann. Das Fenster ist dunkel angemalt, gibt deswegen kein Licht. Im Badezimmer ist eine runde Badewanne aus Gips und Steinen gebaut und es ist nur durch eine sehr schwache Glühbirne beleuchtet, man sieht nicht alles. Vielleicht ist es auch besser so. Die anderen Baderäume sind im freien und bestehen nur aus einer Dusch mit Schutzplanke drum herum und haben keine Türe.
	Magda steht jetzt früh auf, damit sie eine der ersten ist, die duscht. Dann kann sie noch ein wenig in der Stille sitzen, bis die andere Mädels fertig sind und zum Frühstücken kommen. 
Eines Morgens sitzt ein großer Skorpion in der Badewanne. Magda überlegt kurz, ob sie das Tier anfassen soll und entscheidet, dass es für sie beide schmerzloser ist, wenn sie das Tier in der Badewanne sitzen lässt und steigt dazu in die Badewanne, dreht das Wasser auf und duscht. Die Augen sind auf dem Skorpion. Wenn es näher kommen sollte, will sie aus der Wanne springen. Sie passt auch auf, ihn nicht durch anspritzen zu reizen. Es bleibt, wo es ist.
	Nach der Dusche geht sie die Umgebung ansehen – es ist noch sehr früh. Sie findet etwas abgelegen einen Holzbau mit Strohdach. Es ist nur ein Holzboden mit zwei, in L-Form angebauten Wänden – zwei Sessel sind auf der freien Seite, ein Tisch und ein Ausblick auf eine große See und freies Wäldchen. Die Hütte ist am Hang oben, sie sieht über das ganze Tal. Die beste Zeit ist in der Früh, wenn noch Nebel über den See liegt, nur die Vögel wach sind und die Welt noch von menschlichen Geräuschen unberührt ist. Da ist auch eine Dusche hinter einer Wandseite. In der Mitte der Hütte ist ein bespanntes Bettgestell, wie in Haupthaus, ein großer Tisch und zwei Sessel. Wenn möglich, geht Magda dorthin. Sie hat einen Feldstecher und da kann sie Vögel beobachten. Sie liebt Tucane. Manchmal schläft sie am Bett und in den nächsten Tagen geht sie dorthin duschen und bleibt bis Frühstückszeit. 

Eines Tages kommt der letzte Ankömmling. Derek. Und da geht ihre Fluchthütte an ihm. Es war sonst nichts frei. Und er setzt sich auch noch an ihren Sessel, als er ankommt und sie noch nicht beim Mittagstisch sitzt. Innerlich murrend, äußerlich still, gibt sie ihm die Hand und sie nimmt es ihm übel, dass die Hütte jetzt nicht mehr ihr stiller Ort sein kann. 
Sie hört ihm zu, will wissen, wer er ist und dann entscheidet sie sich dafür, dass sie ihn mag. Umso besser. Sie freunden sich an und so teilen sie tagsüber die Hütte. Er freut sich, wenn sie kommt und sie freut sich in der Hütte zu sein – und sie hat seine Gesellschaft gern. Er kann auch schweigen. So sitzen sie oft gemeinsam stundenlang am Ausblick. Sie beobachten gemeinsam die Tiere. Er hat seine Hängematte aufgehängt, das Bettrahmen ist ihm zu kurz, so kann sie manchmal auch am Bett liegen und mit ihm reden. Dann liegt er in der Hängematte und es wird dunkel, irgendwann geht sie schlafen. Sie hat eine starke Stirnlampe, der Weg ins Hauptgebäude ist fast eben. Derek ist groß, kurze blonde Haare, Brillen mit Metallgestell, der Typ blond, der schnell braun wird, sehr bedächtig, eher still, lacht aber sehr gerne, sein Humor ist auch still, eher wie ein Nachgeschmack nach dem gesagten, das erst Zeit zum Sickern braucht.  Er hat ein langsameres Tempo, auch beim Gehen, dafür macht er lange, bedächtige Schritte, als würde er immer schauen, bevor er irgendwo seinen Fuß absetzt.  Er trägt einen hellbraunen Hut mit breiter Krempe.
	Eines Morgens, ganz alleine am Frühstückstisch vor dem Hauptgebäude, hält sie einen kleinen Frosch in der Hand. Sie hat es gerade gefangen. Der Morgen ist auch gerade wach geworden, noch nicht den Tau aus den Augen gewischt, die Sonne geht gerade auf.
Derek kommt und setzt sich zu Magda. Er ist noch still. Sie sieht ihn nicht an, weil sie den Frosch beobachtet. Er sagt auch noch nichts, zündet sich eine Zigarette an und raucht. Dann atmet er ein, will etwas sagen, sieht Magda an und mit einem Metersprung bleibt er hinter ihr stehen. Sie lacht, „was ist los?“ 
„Ich habe nicht gesehen, dass du einen Frosch in der Hand hast, es war so unerwartet. Bin gerade wach geworden“. Sie lacht noch lange über ihn. Er lacht unbeholfen mit. Sie reden vor dem Frühstück immer noch lange miteinander, bis alle am Tisch sitzen. 
An einem Nachmittag erzählt Derek beim Abendessen, dass er in den Regenwald zu den Mayaausgrabungen will und fragt, ob jemand mitgehen möchte. Magda und Frida wollen sofort mitgehen. Frida meint aber, wenn Magda mitgeht, geht sie nicht mit. Magda reicht es. Sie sieht Frida an, stellt sich vor ihr hin „Na schön, wenn du mich nicht magst ist es ok, ich kann damit gut leben, aber sag mir wenigstens, warum?“. Frida ist sprachlos, ihr Mund offen, sie weiß nicht, was sie darauf antworten soll. Jahre später meinte sie, in dem Moment hatte sie das Gefühl, dass man ihr das erste Mal wirklich zuhört. Magda und Frida haben noch einen kurzen Streit im Regenwald bei der Aufstellung der Zelte, dann haben sie einander ihre Grenzen abgesteckt. Magda verschweigt nichts, Frida auch nicht. Dann ist Ruhe und sie kommen einander näher, je mehr Tage sie zusammen verbringen.
Jetzt gehen alle drei los um Führer zu suchen. Da schließen sich ihnen in der Stadt noch eine Frau und ein Mann aus Amerika an. Der Treffpunkt, die Zeit und die Route werden mit einer Touristenagentur vereinbart. Ein paar Tage später werden sie von einem Mann abgeholt, der sie zu den Führern bringt. 
	Es waren zwei Männer vereinbart. Es kamen ein Mann und ein kleines, dünnes Kind – ungefähr dreizehn und fünf Mulis mit Wasser, Proviant und Zelten. Sie sind etwas entsetzt, dass nur ein Erwachsener kam. El Colonel und Walter. El Colonel war früher Guerillakämpfer und kennt den Wald sehr gut. Er geht barfuß. Er ist ein lächelnder, sehr sympathischer, stiller Mann, mit schnellem Gang. Das ist auch notwendig, weil die Lager voneinander einen Tagesmarsch entfernt sind und man muss sehr schnell gehen. Sie gehen von morgens bis abends. Es ist sicherer in den Lagern zu übernachten. 
Viele Bäume sind von Würgefeigen überwachsen. Würgefeigen sind, wie vereinnahmende Lebenspartner. Alles fängt unschuldig an. Ein Vogel, Affe oder anderes Tier frisst die Frucht der würgefeige und verschleppt den Samen mit dem Kot. Unter günstigen Bedingungen, treibt der Samen in den Ästen des Wirtsbaumes aus, wächst hinunter und verwurzelt am Boden. Die Würgefeige umwächst, bildet ein Geflecht um den Stamm des Wirtsbaumes aus, wächst darüber hinaus und nimmt ihm mit den eigenen Blättern das Sonnenlicht. Dadurch kann der Wirtsbaum weniger Photosynthese betreiben, weil ihn weniger Licht zur Verfügung steht. Ihm wird die Lebensgrundlage von allen Seiten entzogen. Das Geflecht der Würgefeige wird dem Wirtsbaum zu eng, es muss aber trotzdem in die Breite wachsen und dadurch wird es jahrzehntelangsam erwürgt. Bis dahin erreicht die Würgefeige ihre volle Größe und braucht den anderen Baum nicht mehr um zu bestehen. Wie Pärchen, die den Begriff der Treue missverstehen und einander zwingen, alles gemeinsam zu tun. Am Ende geht einer seelisch immer drauf – oder fort, im besten Fall, wenn er klug genug ist – und kommt wieder bei sich an. Danach macht er den nächsten Schritt, am besten im Einklang mit sich selbst.