beitrag von: ConstanzeG.
am schreibtisch
nachts wache ich jetzt öfter auf. allerhand gedanken gehen mir durch den kopf, allerhand gestalten tauchen mir auf. man könnte sagen, ich denke über mein leben nach.
letzte nacht tauchte mir ein freund auf. ich nenne ihn noch immer freund, ein anderes wort habe ich nicht. er wartet seit einem jahr auf einen brief von mir. ich muss mich vorsichtiger ausdrücken: seit einem jahr hat er keinen erhalten.
seine haltung jedenfalls in dieser nacht war die eines wartenden, so kam es mir vor. er saß im pyjama an meinem schreibtisch. ich sah ihn nur von hinten. ich sah seine knochigen schultern, sah seinen nacken, der immer etwas gerötet ist, weil er ihn jeden morgen ausrasiert. ich muss ihm platz machen, dachte ich. jeden tag nehme ich mir vor, den schreibtisch aufzuräumen, jeden tag scheitere ich.
als ich näherkam, sah ich, dass der freund den kopf leicht nach links gewandt hatte und durch das schmale, hohe fenster in den dunklen garten sah. Ich traute mich nicht, weiterzugehen, er hätte mich sonst in der spiegelnden scheibe bemerkt.
seine rechte hand hielt einen füller. der füller glitt über einen bogen briefpapier, als wäre es das leichteste der welt.
review von: peter rosei
authentisch, fein beobachtet, subtil. ich wüsste nicht, was da zu verbessern wäre. (sogar eine soziale und historische verortung ist eingeschrieben - als wäre es ein stück wirklichkeit - was es ja auch ist: als text.)