beitrag von: DanielRitter87
In Hülle und Fülle
Ich schlafe schlecht, seitdem ich weiß, dass Du im Baum hängst. Eben noch habe ich deine Stimme gehört.
Sie mir vorgestellt, wie sie mir ins Ohr flüsterte „Ich bin gleich da“. Man sieht dir an, wie Du gelitten hast. Verzweifelt versucht hast, den nächst höheren Ast zu erreichen. Er war wohl nicht dick genug. Manchmal hilft es abzuwarten, bis sich der Sturm gelegt hat. Ich hab leicht reden. Es fällt mir schwer, zuzuhören, wenn ich über Dich rede. Ich suche einen Schuldigen. Nur das Licht der Bäume, gibt mir Antwort auf die Frage, was wirklich geschah, am Abend. Im Schutz der Dunkelheit sehe ich eine Katze. Ich will sie streicheln, doch sie läuft davon und bleibt vor einem Handyladen stehen. Nur kein falsches Mitleid! Aus nächster Nähe schaue ich ihr zu, wie sie auf das Schaufenster starrt und mich ignoriert. Sie sieht die Scheibe nicht. Will hindurch springen. Vor ihr ein Meer aus Handyhüllen. Ich sehe ein Gesicht. Ein irdisches Miauen funkt dazwischen. Hört mich wer? Alles ist verkehrt, nichts passt mehr. Die Haare stellen sich mir auf, wie ein Handyhalter. Stark genug, um nicht auszufallen, wenn ich mir ein Bild von Dir vorstelle. Es bleibt beim Katzenvideo, frisch geschnitten. Ich muss kein Regisseur sein, um zu erkennen, dass vor mir Herz, Leber und Niere liegen. Oder war es nur Werbung für Organspender? Woran bist Du gestorben, mein treuer Freund? Mit platt gedrückter Nase, verschwinden die Zeichen auf der Tastatur. Ich bin nur eine Katze, die sich verlaufen hat.
review von: heinrich steinfest
Das ist ein schwieriger Text (ein ganz schön schwieriger, um genau zu sein) – und das meine ich durchaus positiv. Weil sich nach meinem Empfinden hier mehrere Ebenen und Positionen verschränken. Und letztlich alles vom Ausgangspunkt bestimmt auf den Endpunkt zuläuft: Ich schlafe schlecht und ich bin eine Katze (in einem Handy).
Und klar, wir sind alle Katzen und die meisten von uns schlafen auch noch schlecht (von den Handys weiß man es nicht genau).
Mein Lieblingssatz: „Die Haare stellen sich mir auf wie ein Handyhalter.“ Das ist großartig (würde ich aber ohne Beistrich schreiben, auch wenn Interpunktion so heißen sollte wie eine Nebenstraße der Reeperbahn: Große Freiheit).
Eine Frage:
Satz 1: Du – groß geschrieben.
Satz 2: deine – klein geschrieben.
Das wechselt mehrmals im Text (…sieht dir an, wie Du gelitten hast …)
Absicht? System? Oder ein Mißverständnis meinerseits?
Ich grüße Sie mit einem irdischen Miauen!