beitrag von: hahnv1
Wie war dein Tag, Schatz?
»Warst du das?«, frage ich, als ich ins Wohnzimmer stürme. Das Handy in meiner zitternden Hand wiederholt dieselbe Hiobsbotschaft nun in Englisch.
Meine Frau schaut von ihrer Lektüre auf. Psychologie Heute. Zwischen ihren Augenbrauen bildet sich diese einzelne dünne Falte, die ich einst süß fand. »Du musst dich schon deutlicher ausdrücken. Wir sind hier nicht in einer deiner Kurzgeschichten, wo der Leser zwischen Zeilen lesen soll.«
Nicht wo. Ich atme tief durch. Ja, tief, auch wenn der Lektor es mir anstreichen würde. Ich will nicht streiten. »Hast du den Handyvertrag meiner Mutter gekündigt?«
Sie klappt die Zeitschrift zu. »Das war nicht gesund für dich. Täglich über dreißig Anrufe.«
»Du hast mir nachspioniert?«
»Ich weiß, dass du viel Zeit mit deinen imaginären Freunden verbringst, aber das war makaber. Davon abgesehen, brauchen wir das Geld.«
»Deine Scheißzeitschrift ist teurer als der Handyvertrag!«
»Ja, aber dafür«, sie tippte mit dem Zeigefinger auf die Zeitschrift, »sind die Leute bereit zu bezahlen.« Sie muss den Vergleich nicht aussprechen.
Ich bin versucht, ihr das Handy an den Kopf zu werfen. Stattdessen stürme ich aus dem Zimmer und wähle nochmals die Nummer meiner Mutter. Ich brauche sie jetzt, ich brauche jemand, der mir zuhört.
Den kurzen Moment, bevor die Hiobsbotschaft erklingt, stelle ich mir vor, wie die Voicemail anspringt und meine Mutter mich aus dem Jenseits mit der gleichen Frage begrüßt, wie sie es früher bei unseren Telefonaten immer getan hat.
review von: heinrich steinfest
Hier gleich mal mein Lieblingssatz im Text: diese einzelne Falte, die jemand einst so süß fand. Da ist mit einem einzigen Satz ungemein viel gesagt, was ja wichtig ist, wenn man eine Kurzprosa schreibt und in die wenigen Sätze – beziehungsweise dazwischen (wie die Frau im Text richtigerweise feststellt) – alles reinpacken muß, um dem ganzen ein Volumen zu verleihen.
Jeder kennt das, wie das einst so Süße sich in etwas anderes verwandelt, gar Ekel.
Das ist natürlich ein sehr spritziger Text mit einem gewitzten Ende.
Aber stimmt, „tief atmen“ würde ich auch anstreichen. Klug von Ihnen, genau damit zu spielen.
Ein Vorschlag: Ich würde den Titel auch ans Ende stellen, also die Frage der Mutter. Aber gar nicht in Anführungszeichen. Vielleicht kursiv. Oder in einer anderen Typo.
Denn dann wäre es wie eine Frage, die sich quasi auch an den Lesenden richtet und die wie ein schmückender „Strich“ unter der ganzen Geschichte steht. Im wahrsten Sinne einen Untertitel bildet.
Wie gesagt, nur ein Vorschlag.
Mit Kurzprosa konnte ich bisher nichts anfangen, aber es ist eine tolle Übung in Prägnanz und zielgerichteten Andeutung.
Danke, dass Sie dieses Format ins Leben gerufen haben.