beitrag von: Costahlova
Traumsequenzen
Ein weinender Himmel bedeckt die Tram - Fahrgäste am Freitagmorgen. Am Dach der Meidlinger Kaserne klafft eine schwarze Flagge, kontrastiert das leuchtend gelbe Gebäude. Als sie aussteigt, trippeln zwei schwarze Tauben eilig am Gehsteig hin und her. Cent-Münzen rollen aus löchrigen Hosentaschen auf die Fahrbahn.
Zwei zufällig vorbeirasenden WEGA-Beamten weicht sie rechtzeitig aus. Dieser Freitag hat etwas Löchriges, labt sich an Wunden der Innenhaut. Sie tastet nach dem Handy. Wieder vergessen! Ihr Gedächtnis gleicht einem löchrigen Käse.
Nach dem gewohnten Freitagseinkauf lässt sie sich erschöpft aufs schwarze Sofa fallen, starrt Löcher in die kalkweiße Zimmerdecke, verfällt Sekunden später in einen Dämmerzustand, und gleitet in einen Traum:
Gänzlich im Freien steht sie am Kieselstrand, menschenleer, im weißen Baumwollkleid mit knallroten Kirschen verziert. Möwen kreischen am Himmel, flattern auf und ab, als wollten sie schnäbelnd Botschaften überbringen. Möwen spüren die Seelen der Ertrunkenen, hatte ihr Oma damals zugeflüstert. Am Ufer, ein Holzboot, einer Nussschale gleich. Darin ein kleinwüchsiger Mann, bärtig, mit löchriger Öljacke bekleidet. Betrunken, schlafend?
Klingeltöne durchtrennen ihren Traum. Die Tür öffnet. „Wo bist du denn, Mama? Hab´dich dreimal angerufen!“. „Sorry". Schlaftrunken blinzelt sie aufs Handy. Drei Prozent Akku. Drei Anrufe in Abwesenheit. Eine Nachricht: Bitte melden. Vati im Spital.
Verdammt, verpasst!
Ihr Daumen drückt Rückruftaste.
review von: heinrich steinfest
Gefällt mir sehr bezüglich der Dynamik, also dem Tempowechsel zwischen „gelassener Stadtbeschreibung“, der eigentlichen Traumsequenz und dem finalen Einbruch einer beklemmenden Realität.
Was ich gerne vorschlagen würde, ist eine Überprüfung der Benutzung des Worts „Loch“ oder „löchrig“, kommt ja in Variationen fünf Mal vor. Ich verstehe schon Sinn und Zweck der Repetition (wie auch bei ihrem ersten Text), würde aber diesmal versuchen, ein paar davon herauszunehmen.
Zum Beispiel: Dieser Freitag hatte etwas Durchlässiges („labt sich an den Wunden der Innenhaut“ ist ein sehr überzeugendes Bild).
(Ganz nebenbei, also wenn wir schon bei Löchern sind, kennen Sie die Kurzgeschichte „Wo kommen die Löcher im Käse her –?“ von Kurt Tucholsky. Absolut empfehlenswert.)
Und eine kleine Nachfrage zu „Die Tür öffnet.“ Soll das so sein? Oder: Die Tür öffnet sich.
Und danke für den Hinweis auf die Geschichte von Tucholsky, die ich nachlesen werde. Kenne sie leider noch nicht.
Werde auf die Verwendung von Loch, löchrig und Leerstellen achten.
Die Tür öffnet, da der Sohn Zugang zur Wohnung der Mutter hat (Zweitschlüssel).
Ihnen wünsche ich einen angenehmen Sonntag!
Beste Grüße, Co.