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der diskrete charme der funklöcher

beitrag von: Costahlova

Sonntags - Acht

Sie hasst Diäten. Aufgezwungen? Freiwillig? 
Digitales Fasten war dreißig Jahre zuvor unnötig. 
Sonntags schaltet sie freiwillig das leuchtende Display ab, gleitet in den Acht-Stunden-Fastentag, frei von Reizüberflutung und Fake News.
Auf dem beigefarbenen Sofa lehnt sie sich zurück. Der Puls wird ruhiger. Erinnerungen an Kindheitssonntage tauchen auf: 
Das gemeinsame Frühstück mit den Schwestern, Käse-Toast, Tomaten, spärliche Gespräche, zwischendurch Lachen. Im Hintergrund die vertraute Radiostimme: Friedrich Luft, die Stimme der Kritik. Aufmerksames, konzentriertes Zuhören. „Und bloß nicht das Radio lauter drehen!“, hatte Mutter gedroht! Die Ohren klebten am Radiogerät, damit Nachbarn den Fremdsender nicht bemerkten. In der Küche waren sie sicher. 
Oft unterbrach ein Rauschen oder unsichtbare Funklöcher die Sendung, verzerrte die Stimme. Dann nahm sie behutsam das Radio, trug es vorsichtig, einem Baby gleich, streckte beide Arme in die Höhe und suchte die optimale Haltung, um den Verlauf der Sendung wiederherzustellen. Ab und an veränderte sie die Position der Antenne, doch gegen Funklöcher und Leerstellen im Netz war auch sie machtlos. Als Statur verharrte sie bis zum Sendungsende. 
Insgeheim sehnt sie manchmal Funklöcher herbei.
Sonntagsfasten:  Augen flanieren, flirten mit schneeweiß leuchtenden Kirschblüten. Sie zerlegt Zeitungseiten, vertieft sich in die Lieblingslektüre „Nachthimmel mit Austrittswunden“. 
Gelungene Sonntage! 
Am Abend: Handynachrichten: null. 

review von: heinrich steinfest

Nach meiner Meinung ist Ihr fünfter Text auch Ihr bester. Dicht und locker zugleich. Gute Figur, guter Gang. Und wer wollte nicht mit schneeweiß leuchtenden Kirschblüten flirten?
Die Sache mit der Antenne ist mir so was von vertraut. Teilweise ergänzt um Gabeln, die wir noch zusätzlich auf die Antennen gesteckt haben. Und ja natürlich, wie Sie schreiben, diese Art, die Geräte wie Babys durch die Wohnung zu tragen und den richtigen Ort des Empfangens zu erraten.
Und zu Friedrich Lufts Abschiedsworten „Wie immer – gleiche Zeit, gleiche Stelle, gleiche Welle“, möchte ich als alter Radio-Sentimentalist gerne mit dem markant lachenden Günther Schifter antworten: „Be good. See you. Same time, same station, howdy.“
Cornelia Stahl sagt
20.04.2021 13:55
Lieber Heinrich Steinfest,
vielen Dank für die wohlwollenden Worte! Für mich waren die Übungen der erste Versuch, schreibend an die Tür der Literaturwelt anzuklopfen. Lesend bin ich seit Kindheitstagen dabei und nun neugierig geworden auf Ihre Veröffentlichung: "Gebrauchsanweisung fürs Scheitern".
Am Ende möchte auch ich nochmals Dankesworte aussprechen.
Freundliche Grüße, C.Stahl