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der diskrete charme der funklöcher

beitrag von: ManuelaB

Reset

Das Taxi fährt und lässt Mama und mich auf der Straße allein. Einen Gehweg gibt es nicht und mein Blick fällt auf die kleinen Asphaltkrümel, die sich vom Straßenbelag gelöst haben und erst dicht beisammen und dann immer weiter und weiter auseinander liegen, bis sie scheinbar unbemerkt in der Wiese verschwinden. 

Es gibt viel Wiese hier. Nicht diese gleichmäßig grüne, die man nicht betreten darf. Hier wächst alles Mögliche so hoch wie mein Knie, komisch aussehendes Gras und Blumen und irgendwelche Strauchdinger. Überall summt und zirpt es und mich juckt es schon beim Zuhören. 
Mama legt ihren Arm um meine Schultern. “Ist es nicht herrlich!”, sagt sie und deutet auf das Haus. 
Ich schirme meine Augen gegen die Sonne. Seit Papa weg ist, habe ich immer öfter das Gefühl, dass Mama und ich in verschiedenen Welten leben. Welten, die zwar irgendwie parallel verlaufen, sich aber nie berühren. Das wäre zumindest eine Erklärung, warum sie strahlt, als stünden wir vor dem Buckingham Palace und nicht vor dieser Bruchbude, gegen die das Leben einmal zu heftig getreten hat.  

“Das wird uns beiden sehr gut tun hier”, sagt Mama und drückt meine Schulter. 
Ich werfe ihr meinen besten irritierten Blick zu und sie muss lachen. Das hat sie lange nicht mehr getan und ich lasse zu, dass sie mir einen Kuss auf die Stirn gibt, bevor wir unsere Koffer nehmen und den überwucherten Kiesweg zur Haustüre gehen.

review von: heinrich steinfest

Was ich an diesem Text sehr überzeugend finde, ist die absolut glaubwürdige „Stimme des Kindes“, die auch in Momenten poetischer Bildentwicklung glaubwürdig bleibt. Wie alt man sich dieses Kind auch immer vorstellen mag, dem hier alles Mögliche bis ans Knie wächst – und es nicht nur das Kind beim Zuhören juckt, sondern auch den Lesenden beim Lesen. Eindringlichkeit der Sprache und Bilder.
Schön, sich so etwas wie den „besten irritierten Blick“ vorzustellen.
Etwas unsicher war ich im ersten Moment bezüglich des Themas selbst, heißt, ich habe das Funkloch vermißt. Aber klar, es ist wohl „das Leben ohne Netz“ gemeint.
Manuela Bercioux sagt
20.04.2021 22:16
Vielen Dank für Ihre Einschätzung und die freundlichen Worte. Sie haben natürlich recht, das Funkloch kommt nicht so deutlich heraus. Ich habe überlegt, wie ich dies im Text klarer herausstellen könnte.
Vielleicht so:
...Überall summt und zirpt es und mich juckt es schon beim Zuhören. Ich will ein Bild posten, aber von hier gibts nur Notrufe.
Mama legt ihren Arm um meine Schultern....

Was halten Sie davon?
heinrich steinfest sagt
22.04.2021 09:05
Absolut. Bestens.

Es besteht übrigens keine geringe Ironie darin, daß ich selbst - derzeit in der freundlichen Hügellandschaft des südlichen Odenwalds - von meinem Handy seit Tagen genau diese Information erhalte: Nur Notrufe.
Manuela Bercioux sagt
23.04.2021 19:59
Noch einmal vielen Dank für die Rückmeldung und auch generell dafür, dass Sie diesen Kurs angeboten haben! Es hat mir viel Freude gemacht, daran teilzunehmen. Und gemäß unserer Übung hier wünsche ich ihnen, dass sie den Charme ihres derzeitigen Funklochs auch genießen können. Herzlichst, Manuela