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der diskrete charme der funklöcher

beitrag von: LorenaP

Anders. Gedanken.

Du läufst durch die Straßen, die Erschöpfung rinnt an dir ab wie gelber Eiter, einige Menschen schauen, still, drehen sich wieder weg. Du blickst dich um, immer noch verwirrt, die Stunden im Nachtbus haben deine Gedanken verschleiert, sie sind honigzäh, du gähnst, um deine Anspannung zu vertuschen, schleichst weiter, wirfst verstohlene Blicke auf die Straßenschilder, versuchst dich irgendwie zu orientieren. Der Höhenunterschied von 3.732 Metern von Nacht auf Tag klebt noch an dir, du stellst dich an eine Häuserwand, atmest, ein erneuter Blick auf das schwarze Display. Kein Akku seit vier Tagen und von Oruro nach Arica und von Kennenlernen zu Abschied und von Bergen zu Wasser. Du weißt nicht, ob du vor Freude oder Verzweiflung weinst. Egal, du gehst weiter. Stehst vor einer Bar, untauglichen Akkustecker in der Hand. Wer hätte auch schon ahnen können, dass ausgerechnet in Chile die Steckdosen anders sind als in allen anderen Ländern Südamerikas? Du überlegst kurz, trittst ein, setzt dich an einen Tisch, beginnst mit Menschen zu reden. Fühlst dich plötzlich wieder so wohl, fühlst dich, fühlst, dass du, seit du in Mexiko Stadt aus dem Flugzeug gestiegen bist und mit jedem Kilometer in einem Bus bis hierher gefahren bist, dich mehr aus dir herausgeboren hast. Ihr lacht gemeinsam, dein Blick hebt sich, die nette ältere Frau, mit der du gerade gesprochen hast, kommt wieder auf dich zu, "Aqui tienes m´hijita", du überlegst kurz. 
"Gracias mi vida, pero ya no lo necesito más".

review von: heinrich steinfest

Ein wenig dachte und hoffte ich, daß ja noch mal die blühende oder brühende Keramik vorkommt.
Nein, im Ernst, sehr schön die Ambivalenz der Gefühle getroffen (Freude oder Verzweiflung), das Zähe und Klebrige und die Befreiung. Also ich mußte gleich an „Unter dem Vulkan“ von Malcolm Lowry denken. Und so geht’s einem Leser nun mal, bei einem Text sich an einen anderen zu erinnern. Eine Qualität mehr in diesem guten Text.

Klar, wer nicht Spanisch kann, ist schon selbst schuld, und doch frage ich mich, ob man nicht das Spanische übersetzen sollte (und zwar in den Gedanken der Figur).