sie sind hier: startseite / alle beiträge / Die Mutter von Raina

der diskrete charme der funklöcher

beitrag von: CasStockford

Die Mutter von Raina

Es war kein Tag, kein Monat oder ein Jahr, sondern eine Woche in einer Jahreszeit. Vier Wochen bis zu einem Jahr. Das war der Kompromiss. Klammerte sich an ein Stück Vertrautes.

Morgen. Der orangefarbene Dunst hing verlockend über den krümeligen Fassaden der Nachthobos, müde auf weichen Pelzmänteln im Central Park. Jede ehemalige Stadt hatte einen Central Park. Die meisten waren nicht in der Nähe des Zentrums. Kommen Sie und denken Sie daran, das Wort zentral hatte jede Bedeutung verloren. Niemand kam mehr zusammen. 

Es war also Morgengrauen. Der gesegnete Neustart. Balsamische Lüge, dass alles, was Sie gestern getan haben, heute nicht zählt. Sanftes geistiges Herumtasten zog die Mitglieder der Bevölkerung hin und her, aber niemand war jemand und es gab keine „Organisation“.

Geschichte? Du willst eine Geschichte? Ich könnte Ihnen eine Liste von Abweichungen von dem goldenen Draht geben, den wir brennend mit knochenreinen Handflächen greifen. Aber alle Abweichungen und Wunder laufen auf die Zweiteilung von Fall und Aufstieg hinaus. Vereinigung und Trennung.

Ich erinnere mich an Sie. Sie war eine freie Seele. Das bedeutet, dass sie in der großen Zählung, die auf die große Zerstörung folgte, die einzige war, die nie registriert worden war. Vor. Schon damals hatte sie unter Sternen geschlafen und jedes Jahrzehnt die Religion gewechselt. Lesen Sie das Glück auf dem Pier. Sie ist die letzte, an die ich mich erinnere, dass sie frei war. Vorher waren wir alle frei und unnötig.


review von: heinrich steinfest

Sprachlich kompakt, erzählerisch breit. Der Klang sentimental, aber auch symphonisch. Ja, wollte ich diesem Text eine musikalische Ordnung zuweisen, würde ich sagen: ein Requiem.
Ein bewegendes Requiem. Berührend. Rhythmisch einwandfreie Dichte, die vom gewandten Changieren zwischen Sprachen und ihren Klangfarben erzählt. Der Text nimmt einen sofort für sich ein. 

Nur einmal bin ich gestolpert, weil ich den Begriff „Hobo“ nicht kannte und also nachsehen mußte. Aber ist vielleicht auch nur mein Problem. Die Unwissenheit des Lesenden ist ja nicht die Schuld des Schreibenden.