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der diskrete charme der funklöcher

beitrag von: Costahlova

Balatonfüred

Zur Erholung war sie früher hierhergekommen, mit Mann und Maus. Manchmal tauchte Istvan unangekündigt auf. 
Jedes Jahr fuhr der Vater am Karfreitag hinüber nach Tihany, wanderte zum Kreuzweg hinauf, murmelte.
Bis zum Jahr 1956. Flucht nach Österreich. 
Noch heute steht die Baracke verwurzelt an ihren Platz, nun im Schönbrunnergelb. 
Allein geht sie heute schwimmen. Den grünblauen Badeanzug trägt sie unter dem Kleid. Frostiger Wind rötet ihre Wangen, doch die Sehnsucht nach dem Binnenmeer überwiegt. 
Ihre Habseligkeiten liegen ausgebreitet auf dem ausgerollten Handtuch: Die Handtasche, ihr Kleid, das Handy: der Akku zeigt zwei Prozent, drei verpasste Anrufe in Abwesenheit. Sie löscht sie Nachrichten. Unwichtig! Das Manuskript von Vörös, Müllerverbrennungsanlagen, ragt heraus. 
Verbrennungsmotoren hatte sie sich oft gewünscht, für den Bullshit, der täglich durch die Gegend flog, die Ordnung der Gedanken in Versuchung brachte, auf einfache Erklärungen aufzuspringen. 
Die Wasseroberfläche: spiegelglatt. Sie breitet die Arme aus, überlässt sich dem See, messerscharf zweigeteilt.
Ihre Schwimmzüge werden umringt von musizierenden Halbkreisen. 
Die gleichmäßigen Bewegungen spülen Erinnerungen zurück. 
1956: In der Nacht hatte die Mutter ihre Tochter aus dem Bett gerissen, eilig ein paar Socken und Kleidung in die zerkratzte Reisetasche gestopft, die Treppen hinunter, rein ins Auto und weg. 
Die Schwimmerin, ein winziger Punkt am Seehorizont, 
taucht ab. 
Und verschwindet. 


review von: heinrich steinfest

Ein Text, der für mich sprachlich, stilistisch, bewegungstechnisch nach und nach Fahrt aufnimmt. Der – musikalisch gesprochen – mit einer Rede, einem Rezitativ anfängt, um dann aber wirklich zum Gesang zu finden. Und in der Tat ist von „musizierenden Halbkreisen“ die Rede, überhaupt das stärkste Bild im Text, wie hier die Schwimmzüge eben von solchen tönenden Halbkreisen umringt werden und wie die gleichmäßigen Bewegungen die Erinnerungen zurückspülen. – Ich werde wohl nicht umhinkommen, mir beim nächsten Schwimmen genau so etwas vorzustellen. Was ja auch eine schöner Anspruch des Lesenden ist, Geschriebenes zu kopieren.

Mein Problem: Das „Manuskript von Vörös“ bleibt mir rätselhaft. Soll es das? Istvan?
Winzige Anmerkung: die Nachrichten.
Unwichtig!
Nicht so der Text.
Cornelia Stahl sagt
16.04.2021 10:45
Vielen Dank für Ihr Feedback.
Manuskript von Vörös soll neugierig machen, Leerstellen und Interpretationen bzw. Deutungen dem Lesenden überlassen.

Kleiner Hinweis: Beim Festival "Literarischer Lenz", am 11./12.Mai 2021 in Wien, ist Istvan Vörös im Programm inkludiert.