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der diskrete charme der funklöcher

beitrag von: LorenaP

Was übrig bleibt

Eine detaillierte Darstellung des Kennenlernens zweier Personen ohne die Möglichkeit, sich über digitale Wege zu erreichen oder: Der Versuch eines Briefromans.
 
Er: Seine Universen liegen oft in krankenden Scherenschnitten an den harten Wänden seines Seins. Und: Er erzählt sich Geschichten im Warm der Dämmerung. 

Sie: Wenn sie spricht, hält sie ein Auge etwas geschlossener als das andere, als könnte sie der Banalität der Welt nicht ins Gesicht sehen. 

Ein Nachmittag: Sie sitzt im Café. Er schreitet leise vorüber. Leicht nach vorne gebeugt, eine wankende Birke im Nadelmeer, jeder Schritt ist weich. Sein Gesicht sieht so aus, als würde er im Inneren zu weit gereist sein. Zu weit, als dass er sich in dieser Welt ruhig unter kalte Himmel legen könnte. Eine unergründliche Traurigkeit zwischen den Sommersprossen, adrige Finger, wartende Bewegungen. 

Sie: Bleibt unbewegt sitzen. Überlegt: Nimmt ihren Stift und eine Serviette. Schreibt. Und weiß, dass sie, schreibend,alles an ihm sieht. Die tiefen Falten in seinem weichen Gesicht, die sich kräuselnde Haut, wie brühende Keramik.

Er: Sitzt am selben Tisch. Er weiß, der Brief ist für ihn. Er überlegt sich vieles zu wenig lange und fällt aus der Bahn seiner Planeten. Er überlegt sich, was für Worte er mit seinen Gedanken formen könnte und: Schreibt. 

Was nach all den Briefen übrig bleibt: Sie sehen sich an und wissen, dass sie sich sehen. Sie wissen, dass sie zwei nach Atemringende vor dem schwelenden Asphalt dieser Erde sind.


review von: heinrich steinfest

Hier ging es mir so, daß ich ständig an den einzelnen Bildern hängenblieb, und zwar mit großer Freude hängenblieb, allein die „krankenden Scherenschnitte“ – das ist so ein überraschendes und dann doch einleuchtendes Bild. Gab es überhaupt je Scherenschnitte, die nicht etwas Kränkliches besaßen. Gab es je gesunde Scherenschnitte? Und eine unergründliche Traurigkeit zwischen Sommersprossen, das ist wirklich stark.
Ein Text, in dem die Lyrik die Prosa trägt und den Brief färbt.
Und dann ein Schluß, so dicht und berührend: eine Träne aus Sprache.
*

Aber was bitteschön ist „brühende Keramik“? Ein Schreibfehler? Blühende Keramik? Oder brühend heiße Keramik? Oder gar sprühende Keramik? Vor Ideen sprühende Keramik? Ich würde Ihnen auch das abnehmen.
Lorena Pircher sagt
16.04.2021 12:26
Vielen Dank für Ihr ausführliches Feedback, das mich sehr gefreut hat!! Mit der brühenden Keramik haben Sie Recht, das war ein Tippfehler, ich wollte "blühende Keramik" schreiben, so wie Keramik aus Ton, Lehm und Wasser "aufblüht" und eine neue Form annimmt.

Vielen Dank nochmals für Ihre Zeit und Ihre Rückmeldung,
alles Beste und viele herzliche Grüße,
Lorena