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tot & lebendig

bodo hell
hl. Sebastian (Pestheiliger)

- überraschend: Sebastian, dieser frühe europäische Heilige des 3./4. Jhs. (aus Narbonne oder Milano stammend) soll erst in der Renaissance bildlich zu der uns bekannten Form als gepfeilter Jüngling gefunden haben (eben: auf diesem LateranFresko des 12. Jhs sind die Pfeile zwar auf ihn gerichtet, aber noch nicht abgeschossen): und dergestalt von den Pfeilen der Infektion durchbohrt, im VollRelief fixiert, war er etwa jahrelang an der Außenwand der Bürgerspitalskirche der Salzburger Altstadt am Ende der Getreidegasse zu sehen, bis man diese Darstellung (wohin wohl? eben:) nach St. Sebastian in der Linzergasse (Neustadt) transferiert hat, wo auch der Arzt und Alchemist Theophrast Bombast seine letzte Ruhestätte gefunden hat und wo Trakl in der Engel-Apotheke als Medikamentenakzessist tätig war, sein düsteres Gedicht Sebastian im Traum (Adolf Loos gewidmet) endet so:

Tasten über die grünen Stufen des Sommers. O wie leise
verfiel der Garten in der braunen Stille des Herbstes
Duft und Schwermut des alten Hollunders
Da in Sebastians Schatten die Silberstimme des Engels erstarb

- im Mittelalter erschien Sebastian als Ritter (die infektiösen tödlichen Pfeile samt Bogen selbst mittragend), oder nur mit einem Bündel dieser Pfeile in der Faust (in Weng bei Admont taucht man immer noch seinen Pfeil in den Sebastiani-Wein: duncket hernach den Pfeil Sebastiani hinein und gibt denen Leithen von solchen zu drincken), die Legende macht den Heiligen sowieso zum Heiler: den höchsten Richter der Stadt Rom, namens Cromatius, hat er von seiner hartnäckigen Krankheit befreien können, dazu mußten allerdings die heidnischen Götterstatuetten in dessen Haus zerstört werden (auf den Bildern sieht man, wie die Götzen-Büsten mit einem Stab von den Konsolen gestoßen werden), Sebastian, ein auch für Gleichgeschlechtliche attraktiver Heiliger (volkstümlich Wastl genannt, mehrfach dargestellt etwa in der Pfarrkirche vom Engabrunn, NÖ) hat als Befehlshaber der kaiserlichen Leibwache z.B. anderen inhaftierten Christen geholfen, bis ihn Kaiser Diokletian selbst darob zur Rede gestellt und nach aufrechterhaltenem Bekenntnis zum Tod verurteilt hat: man band ihn hiefür an eine Säule oder einen Baum (kann sein an einen Obstbaum, weshalb man sich in Oberösterreich, Tirol und Bayern am Sebastians-Tag, dem 20. Jänner, des Obstgenusses und des Mosttrinkens enthalten haben soll)

- bekannt ist laut Wendelin Schmidt-Dengler auch jene Holzsäule, die sich der Dichter Doderer, ein exzessiver Verehrer von Sebastiandarstellungen (Heimito hat solche unterwegs überall aufgesucht), von einem Tischler hat anfertigen lassen, um seine Geliebte daran anzubinden (zur weiteren mehr oder minder geduldeten Verwendung/Verwindung)

- Sebastian wurde dann von 5 Pfeilen durchbohrt (aus nächster Nähe abgeschossen), er sank für tot darnieder, und doch: nachdem es der frommen Witwe Irene gelungen war, den gelöcherten Leib des Jünglings wieder gesund zu pflegen, trat dieser nochmals vor den Kaiser hin, um zu bekennen, der ließ jetzt seinen abtrünnigen Leibwächter mit Knüppeln totprügeln und den Leichnam in die Cloaca Maxima werfen (die Erschlagung des Sebastian zeigt ein wildbewegtes Bild des DonauschulAltmeisters Albrecht Altdorfer im Stift St. Florian, 1512, den Abwurf in die Kloake hat Carracci 100 Jahre später dargestellt (Paul-Getty-Museum Los Angeles), eine hochmodern anmutende Beweinung des Sebastian durch 3 Frauen hat Georges de la Tour noch einige Jahrzehnte später (ca. 1649) claroskur ins Bild gesetzt (besagte Witwe Irene ist auch dabei, Staatsgalerie Berlin), ein frommer Christ, dem Sebastian im Traum erschienen war, fischte sich den Toten aus der Kloake und bestattete ihn in den Katakomben draußen vor der Stadt, an der Via Appia

- heute ist Sebastian Schutzherr der Sebastianschützenbruderschaften, und da Pfeile gemeinhin als Krankheitsbringer aufgefaßt wurden (auch wenn sie Sebastian offenbar nicht wirklich etwas anhaben konnten), gilt er auch als Patron gegen die Pest, deren Pfeile Gott zur Strafe auf die Menschen herniederschwirren läßt, etwa in Rom im Jahre 680, wo die Pest wütete: da trug man die Sebastian-Reliquien in einer Prozession durch die Stadt, und die Epidemie (wenn nicht gar Pandemie) erlosch, Sebastianbruderschaften kümmerten sich angelegentlich um die Pestopfer und auch um deren Bestattung

- dort wo der Vorname Sebastian weit verbreitet war (etwa in Deutschland), sprach man gar vom ganzen Jänner als dem Bastianmonat, indes der zweite Heilige desselben Tages (Papst Fabian) hinter Sebastian zurücktrat, doch beide sind wieder im Reim des Bauernspruchs vereint, welcher heißt: An Fabian und Sebastian, da fangen die Bäume zu saften an

 

>> gelesen von bodo hell (wav)