sie sind hier: startseite / alle beiträge / Zwiegesang

die textförmige hängematte eines bizarren augenblicks

beitrag von: Rebekka

Zwiegesang

Könnten Sie bitte erst den erst Text ohne Wissen über die Aufgabestellung lesen? (Die folgt im Kommentar) Funktioniert er auch so? Und wenn ja, wie? 

Wa gsEEEni mai zwEEEni wo  
 -glini- ! ( )
du gAAAisch ja nIIImi wi  
-rini- ?! ( )

wa -ni- !  
leh  wIIImi wi-rini  ( )

mai glini-?  ( ) 

si  nimi-! ( ) 

Ja glIIIni diä nIIImi wi rIIIni si wIIImi
Da gsEEEni mai zwEEEni 
bräi tlEEEni wo bEEEni 
bi du!
du?
du!!!


review von: ann cotten

Liebe Rebekka, 
aus meine Sicht ist dieser Text nicht unbedingt ein intersubjektives Vehikel. Die Aufgabe, andere Leute zu verführen, das gleiche zu machen oder zu erleben wie man selbst, ist durchaus nicht die einzige Aufgabe der Literatur, glaube ich. Vielleicht bescheiden Sie sich in Fällen wie diesen mit Dokumentation, welche Zustände für andere nachvollziehbar machen, ohne dass man gleich "Lust bekommen muss, mitzumachen". Vielleicht reicht Respekt und etwas Einblick? 
Ein vielbesprochener Text in diesem Kontext, den Sie sicher auch kennen, sind die Aufzeichnungen von Daniel Paul Schreber, Sohn des Erfinders des Schrebergartens,  hier online zu lesen: https://userpage.fu-berlin.de/~quirrrrl/Denkwuerdigkeiten_eines_Nervenkranken.htm 

->im 16. Kapitel kommen die Visionen von so langgezogenen Vokalen. Ist durchaus spannend, so intime und konkrete "innere" Erfahrungen von vor über 100 Jahren zu lesen, oder? 

Alle Dichternnnie, die ich kenne, würden diesen Text als extrem wichtig in der Literaturgeschichte erachten. Vermutlich hat jedre von uns ansatzweise die Poetik solcher extremsprachlichen Phänomene wie Verzerrung, In-die-Länge-Ziehen, und ähnliche Grundorientierungen von Sinn und Welt in sich, und je nach Laune auch die Lust, sie zu üben oder zu strapazieren. Natürlich ist das Genre mehr Ausdruckstanz als Jazz-Tanz. Es gibt eben viele Genres. Und man kann nicht von der Allgemeinheit verlangen, jederzeit Lust auf jedes Genre zu haben - und ebensowenig darf man sich schlecht fühlen oder einen Text für mangelhaft erachten, wenn er nicht Mitmachlust erweckt. 

Aber freilich, die Verführungskunst hat ihre Poetik, und die können wir auch besprechen, wenn Sie wollen. Nehmen Sie z.B. das verführerische Versprechen Freudscher Psychoanalyse, einerm zu helfen, die intimen wilden Verformungen zu gesellschaftlich funktionellen Schnörkeln zu biegen. Aus solchen Gründen vielleicht sind Texte, die eine Art anmutige Integration als Weg anzeigen, im Allgemein verführerischer als solche, die idiosynkratische Zustände dokumentieren, die jedre auf seihnre Weise in sich hat, von denen man bald einmal wie Sie auch schreiben Angst hat, weil die Gesellschaft uns bittet/zwingt, solche Ausdrücke unter Kontrolle zu halten und Ausdrücke davon sanktioniert, und es gibt auf jeden Fall auch eine Bewegung und Gruppen von Leuten, Schreibenden auch, die sich gerade über Befreiungen solcher Ausdrucksmodalitäten freuen und gerne und fasziniert darüber austauschen. 
Da die Sprache dazu da ist, ALLES zu besprechen, was man möchte, haben wir es hier eben mit einem extrem weiten Feld zu tun, in denen verschiedene Bereiche völlig unterschiedliche Wertvorstellungen und Ziele haben, sodass, während die einen Dichternnnie an der Auflösung oder dem Lüften der Konventionen arbeiten, um zu sehen, was darunter liegt, die anderen zur gleichen Zeit mit deren kunstvoller Veränderung, konservierung, oder Kitzelung beschäftigt sind.
Rebekka Schaefer sagt
06.11.2020 18:17
Auf der „Grenzscheide“ (ein Rilke-Wort, sich an Rodin abarbeitend): Während des Einschlafens höre ich ein Gespräch in meiner melodiösen Muttersprache Schweizerdeutsch. Die Wörter hören allmählich auf, zu bedeuten. Gesprochenes Wort, das sinnentleert nur beruhigt. Vielleicht entsteht eine eigene Geschichte?
Ich möchte die Leserin mit Lücken, Satzzeichen etc. einladen, rhythmisch zu lesen – flüstern - singen. Und das R müsste auch noch gerollt werden. Drei Großbuchstaben sind ein Schlag, das ( ) ein leerer Schlag. Grundlage ist ein Lied von Mani Matter (Bikini).
Ich werde beim wiederholten Lesen verführt, vor mich hin zu singen und den Takt mit zu klopfen. Sie auch? Und wenn nicht, wie könnte ich es besser machen? Würde gern dranbleiben, da mich die Aufgabe reizt. dann aber ein eigenes Lied.
Während des Singens ist der Körper außerstande, Angst zu produzieren.
Jetzt aber habe ich plötzlich doch etwas Angst beim Abschicken, da mir das rätselhafte Lied unheimlich intim vorkommt.
Gut zu wissen, dass Sie spontan und aufrichtig sind, ja einen Pfifferling auf Objektivität geben!
Rebekka Schaefer sagt
16.11.2020 11:43
Ich danke herzlich. wir haben nicht immer lust auf einen horrorfilm, oder auf einen spaziergang. vielleicht auf einen kleinen Happen? ich denke darüber nach.
Rebekka Schaefer sagt
16.11.2020 12:43
Herr Schreber kannte ich nur vom Hörensagen. Sein Text ist sehr inspirierend. Danke für den treffenden, hilfreichen Hinweis! Aber jetzt: hinaus in die Pandemie-Welt. Angst essen Welt auf.
Hoffentlich fließen trotz allem noch Wörter, Sprache in mir....