beitrag von: EvaSimone
Delta Velorum Phasianus
Warum bin ich wach? Ich drehe den Kopf nach links, der überdimensionale Fasan ist wieder da, wartend, wippend, schaukelnd schaut er auf mich herab. In seinen Pupillen spiegelt ein ganzes Jahrtausend an Grausamkeiten menschlichen Verschuldens, davon nur zwei Naturkatastrophen nicht-menschlichen Ursprungs mit milden Auswirkungen auf Flora, Fauna und die native Bevölkerung. Die goldene Feder auf seinem Kopf muss ein Vermögen wert sein, was soll das? Aus meinem Lidschattenset fehlt der Orangeton. Bin ich wieder im Sternsystem Delta Velorum? Ich greife mir an den Nacken – die Fettröllchen sind da: drei, vier, fünf - wie bei einem Mopshals, lassen sich mit einem Seidentuch gut verbergen. Der Fasan wirft einen Speicheltropfen auf meinen roten Daumennagel, wegwischen lässt er nicht gelten. „Komm!“, sagt er und nimmt mich wie immer sanft an der Hand. Wir gehen ins Wohnzimmer und schließen die Tür. „Jetzt darfst du weiterschlafen.“
review von: dorothee elmiger
grösste rätselhaftigkeit im faunischen traum-reich: einerseits der die zeiten überdauernde, anthropomorphe fasan – blickt und spricht er von der bettkante her oder aus einer entfernung von 80 lichtjahren? was stellt er dem ich dar? andererseits die nahaufnahme des körpers, das feld der kosmetik: lidschatten, fettröllchen, das rot des daumennagels. es stellen sich seltsam klare bilder ein beim lesen, die farben satt, alles scheint sinn zu ergeben, obwohl ich nicht verstehe – gerade weil mit einer solchen selbstverständlichkeit erzählt wird: im traum, so ist es ja, wundert man sich selten; ganz bereitwillig folgt man den vollendeten tatsachen, vor die man gestellt wird.