beitrag von: wpoeschl
Bericht an das Ministerium für Arbeit
Seit dem zweiten Lockdown schlafe ich sehr viel. Oder ist es vielmehr so, dass die Differenz zwischen Schlaf und Wachleben sich zunehmend auflöst, genauso wie die Differenz zwischen Tag und Nacht, jetzt wo der Tag zunehmend zur Nacht wird, die Zeit vom 6. Dezember bis zum 6. Jänner über. Es dämmert immer, der Himmel genauso wie das Bewusstsein, alles ist in einem diffusen Übergang, nirgends scheint gerichtetes, scharfes Licht durch die zähe Wolkendecke.
Einmal bin ich um sieben in der Früh aufgewacht und ich glaubte im ersten Moment, es wäre sieben am Abend; dann schlief ich weiter. Vielleicht ist der Schlaf jetzt die neue Arbeit, und der Traum das traumwandlerisch produzierte Produkt. Womöglich ersetzt der Traum auch den Dialog mit den anderen Menschen respektive den gesellschaftlichen Diskurs, den man via Facebook, WhatsApp und Twitter nur noch als gefühllosen Torso vorfindet.
Letzte Nacht hörte ich einen Sackpfeifer, der ein Lied vom Morgenland durch den Kirchturm blies. Ich blickte auf die Straße durch das Schlafzimmerfenster, aber es war ganz dunkel, weil Krähen wie Motten die Straßenlaternen belagerten. Es war schön, plötzlich konnte ich die Konturen der Dunkelheit erkennen, wie damals in jener denkwürdigen Nacht, als im ganzen Bezirk die Stromversorgung ausgefallen war. Nun, da mich das grelle Neonlicht der Autobahnauffahrt nicht mehr blind machte, sah ich erst die Waldsteppe dahinter, und den jungen, russischen Präsidenten, der dort mit den Wolga-Bulgarinen tanzte.
review von: dorothee elmiger
ein schöner traum-report, vielen dank!, der ja dann doch noch zur praxis zurückgekehrt. oder eben: zur arbeit. finde da meine eigenen erfahrungen der gegenwart wieder – die verschiebung der gewichtung (des gewichts) von schlaf und wachzustand, die alte neue frage: wo geschieht eigentlich gerade etwas, wo geschieht gerade mehr – was ist folglich die eigentliche wirklichkeit? schön, die andauernde dämmerung, das ungerichtete licht. und schön auch, wie der übergang in den traum eben mehr oder weniger unmerklich geschieht, ein sehr toller letzter abschnitt dieses berichts an das (neue) arbeitsministerium.
das morgenland, gibt es das eigentlich noch?
eine ganz grundsätzliche frage, die ich nach wie vor oft nicht beantworten kann: was hat es auf sich damit, dass dinge, wörter wie twitter immer als fremdkörper aus den texten herausstechen. und wie kann das verhindert werden – oder soll es genau so sein?
Das mit den Wörtern "twitter" ist tatsächlich eine schwierige Aufgabe. Weil man will ja zeitdiagnostisch sein
und trotzdem Leuten damit etwas sagen, die von dem KlimBim gar nichts mitkriegen.
Das "twitter" und co durch "Internet" austauschen? Aber macht es das besser? Es kriegt immer noch einen
"neu-deutschen" Touch, schwierig.