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rapid eye movement: fingierte träume

beitrag von: RIEDOMINIK

ALTE TRÄUME

Ich war wie gelähmt. Und dann realisierte ich: Ich war gelähmt. Seltsamerweise an den Armen. Irgendwie, das wusste ich, war es zu einem Unfall gekommen. Meine Nerven in beiden Armen waren betroffen und es gab keine Hoffnung, dass ich sie je wieder bewegen könnte.
Da überkam mich der starke Drang, weglaufen zu wollen. Doch musste ich merken, dass meine Kraft nicht ausreichte.
In dem Moment überkam es mich: Zum Glück ist dies alles nur ein Traum.
Und trotzdem: Im Traum war ich etwa 15 Jahre alt. Dafür waren beide Arme gelähmt. Ausserhalb des Traums, auch das stand fest, war ich fast 60 Jahre alt.
Da wurde der Traum seltsam. Die öde reale Welt mit ihren Überlegungen griff in diese Welt ein, machte das doch Schöne daran kaputt.
Und da war noch etwas: Ich wusste, dass all dies nur geschah, weil ich am Abend vergessen hatte, meine Opiate einzunehmen. Im Traum also erinnerte ich mich an andere Träumen, in denen mein Opiat-Level zu tief war, um je schön träumen zu können.
So wünschte ich mich zurück in alte Träume.
Eine absurde Idee. Eine Idee, die auf einmal meine Därme entlang nach unten kroch. Ich vermochte all die üblen Umstände in meinen Bauch zu erspüren; es rann wie eine zu heisse Schweissperle in meinem Körperinnern nach unten.
In dem Moment befand ich mich wieder im Spital. Ich war in einen Raum gefahren worden, in dem ich vor Auszubildenden analysiert werden sollte. Da blendete mich das Licht einer Operationslampe so gleissend, dass mein Darm - sich entleerte.
Zu spät.
DR 04./05.11.2020

review von: dorothee elmiger

im titel liegt vielleicht mehr, als auf den ersten blick vermutet: der erzähler, die erzählerin scheint auf einen vor langer zeit geträumten traum zurückzublicken. dem nacherzählten traum fehlt jedenfalls die unmittelbarkeit der erfahrung des träumenden ichs: das könnte auch ganz anders erzählt werden, als alp, mit panik. diese sachlichkeit findet ihren schönen höhepunkt bei den tiefen opiat-leveln. damit würde ich ja diese alten träume beginnen lassen: "Und da war noch etwas: Ich wusste, dass all dies nur geschah, weil ich am Abend vergessen hatte, meine Opiate einzunehmen. Im Traum also erinnerte ich mich an andere Träumen, in denen mein Opiat-Level zu tief war, um je schön träumen zu können." Et puis?
Dominik RIEDO sagt
04.12.2020 16:29
Aber dann ist ja das eventuell überraschende Element des Oneiroiden gleich weg. Literatur (zumindest dieses Stück) soll doch auf der Schwelle von Realität und Fiktion/Traumwelt wandeln. Also nein: Lieber nicht mit den Opiat-Leveln beginnen.
Und ja, im Titel liegt mehr. Deshalb ist es der Titel. Sollte doch so sein, oder?
Aber von wegen Ambiguität: auch drum nicht die Pointierung auf einen Albtraum hin oder eine PaNI(C)K. Noch weiss das Ich, wer es ist. Aber nicht, wo und wie genau. Oder weiss es das? Eben ...
Die Frage wäre für mich eher: Sprachlich zu verbessern? Oder doch als Traumniederschrift so lassen?
DR
Dominik RIEDO sagt
05.12.2020 16:51
Das Ziel wäre es doch, gerade nicht so billig - und auf die immer gleiche Art - zu schreiben wie etwa Arno Camenisch, gegen dessen reifstes (weil neuestes) Buch extrem viel gesagt werden kann (und von mir - per exemplum - gesagt wurde: https://glarean-magazin.ch/[…]rezension-von-dominik-riedo). Sooooooo stellte ich mir eine lebhafte und nützliche Literaturdiskussion vor. Gerne auch bei meinem Text hier.
Dominik RIEDO sagt
26.12.2020 13:55
ALTE TRÄUME 2
Ich hab geträumt, ich gehe zur Ärztin - und sie gibt mir noch genau acht Minuten zu leben. Da hatte ich schon eine halbe Stunde in diesem verdammten Wartezimmer abgesessen.
DR 25./26.12.2020