beitrag von: tliving
Wege gehen
- Sue zieht sich gerade die sportive, enganliegende Trainingshose an, das passende atmungsaktive Raglanshirt dazu, und schlüpft schon die Sportschuhe. Gerd folgt ihr und nimmt dazu die Walkingstöcke in die Hand. Sie verlassen das Haus, gehen die asphaltierte Straße bis ans Ende, biegen um die Ecke, und in den Schotterweg ein. Und schon liegt ihnen das Paradies zu Füßen. Eingebettet zwischen den tannengrün waldigen Bergen liegt der schwarzblau gestreckte See, umgeben von einem wiegenden Schilfgürtel und saftigen Wiesen, unbebaut, bevor dahinter, in der zweiten Reihe, die Ortsstraße sich den Weg sucht. Sue und Gerd lieben diesen Weg. Direkt am Ufer. Den See entlang. Den Schotter unter den Sportschuhen knirschen spüren. Die Walkingstöcke klappern rhythmisch dazu. Klak-Klak-Klak-Klak. Anfangs noch laut verschwimmt der Klang im Ohr zu einer sanften, monotonen Melodie. Ihr beider zuvor noch hektischer Atem gesellt sich dazu, ruhiger und tiefer wird er. Die Landschaft zieht an ihnen vorbei. Die Konturen in ihren Blicken verblassen. Ihre Gespräche verstummen friedlich. Sie atmet genussvoll die frische Luft ein. Beide begegnen sich nunmehr im Schweigen und Erleben. Pure Entspannung in Bewegung. Er, Gerd, sagt: Sich frei gehen. Die Gedanken ziehen lassen. Den Kopf mal leeren. Nennt es Freiheit für den Kopf. Sue erlebt es als: Sich fit gehen. Das Immunsystem stärken. Glückshormone ausschütten. Besser leben.
- Auch Szu möchte besser leben. Dazu schlägt Szu den Weg zum Park ein. Leider ist die Luft heute wieder sehr dicht. Der Smog lässt die Stadt nicht los. Die Gruppe im Park steht jedem frei, der mitmachen möchte. Szu nähert sich dem großen Platz. Fruchtig blühende Bäume säumen luftig den Weg. Sie bahnt sich den ihren durch die schon Daseienden und sucht sich einen guten Platz. Verwurzelt ihre Füße. Sammelt ihre Konzentration. Sieht auf den Lehrer da vorne. Er zeigt vor, leitet an. Asanas. Standhaltungen. Lotussitz, herabschauender Hund, Krieger oder Tänzer. Heute begibt sie sich im Einklang mit der Gruppe, und doch ganz für sich in ihrem Körper, in den Liegestütz, drückt kraftvoll die Arme nach oben und lang, den Po in die Höhe, und zieht die Brust zum Nabel, streckt die Beine durch. Und atmet. Vielleicht, sagt der Lehrer, versucht ihr, den Atem heute noch weiter in die Lendenwirbeln fließen zu lassen. Vielleicht merkt ihr, wie der Körper an dieser Stelle sich dehnt, weiter wird. Vielleicht spürt ihr eine neue Leichtigkeit in euch. Szu spürt, wie sie sich öffnet. Wie ihr Körper leichter wird, an Gewicht und Bedeutung verliert. Sie aus ihm heraustritt und zur Beobachterin ihrer selbst wird. Neugierig hört sie in den neu entstandenen Raum hinein. Sie fühlt sich wie in einer Ausstrahlung. Aufmerksam und dankbar zugleich nimmt sie das neue Wissen entgegen. Es hilft Szu, ihren eigenen Weg zu gehen.
- Danach geht Szu ihrer Wege, zurück ins Office. Dankbar, friedlich und erfüllt. Auch Sue und Gerd sind wieder auf dem Weg zurück ins Urlaubsquartier. Frei im Gedanken, aktiviert und belebt. Sie gehen ihrer Wege. Sie gehen ihre Wege. Verschieden. Zu einem guten Leben.
review von: peter rosei
eine art pop-literatur, was du da vorlegst - erinnert mich an warhol und seine flowers. durch den gebrauch der vielen eigenschaftswörter entsteht diese warenästhetik: alles tannengrün und fruchtig blühend - eine schöne, neue welt, in der keiner sich weh tun kann. meinst du das als lebenshilfe?