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tiere wie wir (who is the walrus?)

lecture | lesungen | gespräche | perfomances | sounds
zwei festivalabende am 30. sept. und 1. okt. 2022
eine kooperation von schule für dichtung und schauspielhaus wien


veranstaltung tiere wie wir (who is the walrus?)
/ festival

tiere wie wir (who is the walrus?)


lecture | lesungen | gespräche | performances | sounds

fr., 30. september und sa., 1. oktober 2022

beginn jeweils 20.00 uhr
ort: schauspielhaus, porzellangasse 19, 1090 wien

 

"die welt so wahrzunehmen, wie tiere es tun, könnte eines tages unseren blick auf unsere tierischen artgenossen für immer verändern", schreibt die kognitionsbiologin angela stöger in ihrem 2021 erschienenen buch von singenden mäusen und quietschenden elefanten. die expertin für bioakustik und lautkommunikation gehört zu einer stetig wachsenden gruppe von wissenschaftlerinnen, die sich mit der erforschung von 'tierischem bewusstsein' beschäftigt. eine regelrechte flut an büchern widmet sich seit jahren der intelligenz, empathie- und lernfähigkeit, dem schmerzempfinden und 'gefühlshaushalt' von tieren und den daraus resultierenden konsequenzen für uns menschen. vegetarische und vegane ernährung gilt längst eher als lifestyle denn als puritanertum, und selbst überzeugte fleischkonsumentinnen überkommt mittlerweile ein unbehagen, wenn sie an die verwerfliche herkunft ihres bratens denken. fast ist es, als ob sich die frage des ersten tierethikers, jeremy bentham (1748-1832), heute gar nicht mehr stellte, so klar scheint die antwort: "die frage ist nicht: können tiere denken? oder: können sie sprechen? sondern: können sie leiden?"

der glaube an die vermeintliche einzigartigkeit unserer spezies ist in den vergangenen jahrzehnten also gründlich erodiert. ob man tiere nutzen, essen oder auch nur als hausgenossen halten darf, ist keine private angelegenheit mehr, sondern eine politische. noch ist nicht der historische moment gekommen, um nach nationalismus, rassismus und sexismus auch die schranke des 'speziesismus' zu überwinden, der die diskriminierung von lebewesen lediglich aufgrund ihrer artzugehörigkeit rechtfertigt. aber – pathetisch gesagt: die sehnsucht nach einer neuen basis im verhältnis von natur und ihrer beherrschung durch den ausbeuter mensch wächst. und mit ihr der wunsch nach einer neuen 'human-animal-relation' frei von gewalt, verdinglichung und gefangenschaft. hin zu einem tierrecht, das den tierschutz transzendiert wie die gerechtigkeit das mitleid.

all das wird zu verhandeln sein – in fiction und non-fiction, in prosa und poesie, belletristik und sachbuch. nicht zu vergessen dieses schöne gutachten: charles darwin befand, dass "schamhaftes erröten" die menschlichste aller ausdrucksformen sei.

und: 'ich sah, wie die besten köpfe meiner generation von katzenvideos zerstört wurden ...'

kuratiert von fritz ostermayer (künstlerischer leiter der sfd)

 

übersicht:

freitag

johannes ullmaier (mainz): einführungsvortrag

nell zink (bad belzig) und klaus nüchtern (wien): delir über vögel oder ornithomanie als schöne kunst betrachtet.

lieblingsziegenvideos der sammlung clemens j. setz.

teresa präauer (wien): lesung

deb olin unferth (austin/texas):  lesung mit eingestreuten fragen

 

samstag

jana volkmann (wien): lesung

judith schalansky feat. bettina hoppe (beide berlin): performative lesung

lieblingshasenvideos der sammlung clemens j. setz

kalle aldis laar (münchen/wien): –"mit tieren musizieren", eine klassenpräsentation mit gerlinde hacker, alexander iwanov, martin wolf & kalle laar

peter iwaniewicz und tex rubinowitz (beide wien): ein zwiegespräch

 

moderation: fritz ostermayer

 

im detail:

 

fr, 30.9., 20h

begrüßung:
kulturstaatssekretärin andrea mayer (bundesminsterium für kunst, kultur, öffentlicher dienst und sport)
veronica kaup-hasler (stadträtin für kultur und wissenschaft)
eröffnung:
tomas schweigen (schauspielhaus wien) und fritz ostermayer (schule für dichtung)

johannes ullmaier (mainz). einführungsvortrag.
egal, ob es um sumerische fabeln als ursprung aller tiergeschichten gehen wird oder um moralischer tierschutz versus politisches tierrecht, ob um eine neue 'theorie der ontogenese' oder unübersetzbare sprachen der tiere – unser langjähriger diskursiver eröffnungsdurchlauferhitzer johannes ullmaier, literaturwissenschaftler zu mainz, wird auch heuer wieder einen sinnlich kognitiven bogen zwischen geistes- und naturwissenschaften spannen, auf dass uns ein licht aufgehe in inhaltsregionen, von denen wir nicht einmal ahnten, dass sie im dunkeln existieren. wenigstens aber wissen wir dank einer studie der primatenforscherin sasha winkler und des kommunikationsforscher greg bryant, dass es – bislang – 65 lachende tierarten gibt. wie viele davon auch kitzlig sind, weiß man noch nicht.

nell zink (bad belzig) und klaus nüchtern (wien). delir über vögel oder ornithomanie als schöne kunst betrachtet.
hier haben sich zwei gefunden: eine autorin und ein literaturkritiker, die sich lieber über glanz und elend der vogelwelt unterhalten als über fluch und segen von dichtkunst. im frühjahr leitete nell zink die erste birdwatching-klasse der schule für dichtung mit dem bezaubernden titel "ästhetik der vögel. wer, wenn ich schriebe, hörte mich denn aus der meisen ordnungen"? als marschgepäck bekam jeder student von zink ein sachbuch mit dem nicht minder betörenden titel liebeslust und ehefrust der vögel. vogelnarr nüchtern wird also aus dem vollen schöpfen können und vielleicht auch noch aufdecken, welche viecherl sonst noch zink in ihrem legendären fanzine animal review (fanzine für die pflanzenfressende jugend) rezensiert hat. wir wissen nur vom mungo: "mungos ähneln flussottern, nur ohne die flüsse. einmal mittags und einmal bei sonnenuntergang tummeln sie sich auf dem hinteren rasen des wohnhauses in haifa, wo man avner shats besucht. vom vierten stock aus gesehen, wenn man gerade nach unten schaut, laufen und spielen sie in langen, sich windenden s-kurven. sie sind mehr oder weniger wie schnecken geformt, mit dicken schwänzen und stumpfen köpfen. wenn man versucht, ihnen futter zuzuwerfen, bläst der wind es auf die wäsche der nachbarn im erdgeschoss und in deren fenster, so dass derzeit nicht bekannt ist, wie mungos auf futtergeschenke reagieren."

lieblingsziegenvideos der sammlung clemens j. setz.

teresa präauer (wien). lesung.
lässt sich die animalisation des homo sapiens anhand von kunst, literatur, film und mode beschreiben ohne gleich einen metaphernzirkus aufzuführen? und was soll das überhaupt bedeuten: vertierung des menschen? wo doch bald der cyborg unser nächster verwandter sein könnte. nicht erst seit ihrem gefeierten essay/poesie-hybrid tier werden streift teresa präauer durch die abtriften und außenposten der mensch-auflösung, bereits in ihrem roman oh schimmi von 2016 macht sich ein männlicher teenager dermaßen zum affen, dass die gattungsgrenzen sich zumindest im lachhaft traurigen monolog dieses "primaten ohne eigenschaften" (matthias friedrich) auflösen. freilich auch in präauers mitreißendem assoziationsfluss, der als kontrollierter stream of consciousness vermutlich genau weiß, worin er münden soll: in eine fantastische ursuppe, in der haar und fell, hornhaut und schuppen, panzer und kostüm als artifizielle einlagen zum spielen einladen wie die buchstaben in der buchstabensuppe. keine autorin ist der tier-werdung als künstlerische disziplin lustvoller auf der spur. und das in einem schreibakt "wilden denkens", der claude lévi-strauss, dem erfinder des begriffs, wahrscheinlich sehr gefallen hätte.

deb olin unferth (austin/texas). lesung mit eingestreuten fragen.
noch gibt es unseres wissens keine dissertation über das huhn in der abendländischen literatur, aber gäbe es eine, dann käme diese nicht ohne eine gründliche analyse des romans barn 8 aus, dessen deutsche übersetzung interessanterweise happy green family betitelt ist. es handelt sich hierbei – ohne spoileralarm – um den komischsten, aber auch berührendsten hühnerroman ever, im dem es um nichts weniger geht als um den größten tierraub der geschichte. unter dem banner von 'animal liberation'. knapp 1 million legehennen sollen aus industrieller geflügelzucht befreit werden, von rund 500 mehr oder minder durchgeknallten aktivistInnen mit 60 lastwägen in nur einer nacht. das klingt nach fitzcarraldo und ist doch weit mehr marx brothers denn werner herzog. nach der lektüre dieses grandiosen romans graust es einem vor jeder eierspeis, aber eine neue, höchst emphatische sicht auf das liebe federvieh gleicht das bei weitem aus. deb olin unferths größter fan, fritz ostermayer, wird mit der autorin über ihre begeisterung für hühner, die sandinisten nicaraguas und creative writing workshops in hochsicherheitstrakten texanischer gefängnisse reden. und über die große südstaaten-autorin flannery o’connor, die ihre hühner so sehr liebte, dass sie ihnen pullover strickte ... pardon: pullunder. wegen der flügerl.
(in englischer sprache)

johannes ullmaier, nell zink, klaus nüchtern, teresa präauer, deb olin unferth
(c) maren jäger, francesca torricelli, andy urban, thomas langdon, nick berard

 

sa, 1.10., 20h

jana volkmann (wien). lesung.
das tier im kapitalismus als ideologie der ausbeutung von allem und jedem. die schriftstellerin jana volkmann interessiert das 'arbeitstier' und sie fragt daher konsequent: sind tiere historische subjekte? können sie zu revolutionären akteurinnen werden? volkmanns neuer, im frühjahr 2023 erscheinender roman der vektor vertritt eine radikale position, wenn nutztiere als arbeiter und arbeiterinnen dargestellt werden und malochende tiere als neu zu definierende proletarische klasse. in einem merkur-artikel vom mai 2022 schreibt die autorin: "in florida wird gerade über ein gesetz entschieden, das nicht mehr arbeitsfähigen polizeihunden unter anderem subventionierte tierarztbesuche zugestehen soll – eine art altersvorsorge also, eine rente". sehr löblich, aber vom pensionierten hund im rentnerstaat florida zur proletarischen tiergemeinschaft als revolutionäres potential scheint es noch ein langer marsch. fix hingegen ist: "ohne die unermüdliche produktivität der spürhunde und brauereigäule, der therapiekatzen und der brieftauben wäre die menschheit nicht dort angekommen, wo sie sich heute befindet". von pferden und delphinen im kriegsdienst ganz zu schweigen.

judith schalansky feat. bettina hoppe (beide berlin). performative lesung.
allein mit der von judith schalansky seit 2013 bei matthes & seitz herausgegebenen reihe naturkunden ließe sich ein woodstock der tiere programmieren. man muss kein bibliophiler freak sein, um diese von schalansky auch hervorragend gestaltete reihe über esel ("lob des eigensinns"!), faultiere ("alles an diesem tier scheint ein statement zu sein"!), schwein (thomas macho!) etc. etc. als ganzes besitzen zu wollen: 88 bände, einer schöner und wissenspraller als der andere. aber auch die autorin judith schalansky ist vom 'nature writing' fasziniert, dem "literarischen schreiben über naturphänomene", dessen anfänge sie in ihrer dankesrede anlässlich der verleihung des diesjährigen carl-amery-preises beim spätantiken gelehrten kelsos verortet, einem streitlustigen tierfreund wider das christentum und dessen verheerender glaubenslehre, die dem menschen eine unbeschränkte herrschaft über die welt einräumt. und apropos rede – wenn dieser auszug aus unserem mailverkehr kein appetizer ist, dann wissen wir auch nicht: "ich könnte mir vorstellen, eine rede zu halten ... das thema sind kanarienvögel, es geht schon um so etwas wie das ende und/oder die rettung der welt, aber am ende würde ich es gerne in etwas partizipatives überführen – zusammen mit bettina hoppe, die als special guest mitreist und eine gewiefte vogelstimmenimitatorin ist." ja, das hat uns gerade noch gefehlt – eine vogelstimmenimitatorin! der beste stimmen- und soundimitator unter den vögeln selbst ist übrigens das australische leierschwanz männchen, das im balzrausch nicht nur zahlreiche andere vögel perfekt imitiert, sondern auch alles, womit der mensch in wald und flur radau macht: motorsägen, äxte, traktorentuckern, motorräder und sogar autoalarmanlagen.   

lieblingshasenvideos der sammlung clemens j. setz.

kalle aldis laar (münchen/wien) – "mit tieren musizieren" (>> http://sfd.at/tierstimmen).
eine klassenpräsentation.
die sfd-sound-klasse des klangkünstlers, komponisten, hörspielautors und djs kalle laar hatte sich noch vor ihrem start die politische frage nach dem aneigungscharakter ihres tuns zu stellen. könnte es ein akt von cultural (oder natural?) appropriation sein, mit tierstimmen zu experimentieren? hierzu teacher laar: "vielleicht stand am anfang von gesang und sprache die nachahmung von tierlauten. bedeutet das dann nicht auch, dass am anfang der sprache die täuschung, die lüge war? mit seinem ruf beansprucht der hirsch sein revier und definiert seine grenzen. die nachahmung dieses rufes durch den menschen ist vortäuschung von rivalität, die annoncierung eines eindringens in den akustisch behaupteten herrschaftsraum durch einen konkurrenten, jedenfalls nicht der wunsch nach kommunikation." aus einem gemeinsamen chor von tier und mensch kann so freilich nichts werden. schade – aber toll: denn auch das samplen, nachahmen, interpretieren und erfinden animalischer lautäußerungen kann zu künstlerischen werken führen, die sich vor den gesängen der siamang-affen, dem blues-barking von oswald wieners schlittenhunden oder gar dem gefiepse von josefine, der sängerin aus dem volk der mäuse, nicht zu verstecken brauchen. mit den sound-poets gerlinde hacker, alexander iwanov, martin wolf & kalle laar.

peter iwaniewicz und tex rubinowitz (beide wien). ein zwiegespräch.
dem autor, humorzeichner und sänger (einer mäuseband!) tex rubinowitz eilt nicht nur der ruf eines imposanten 'bremsenflüsterers' voraus, er gilt auch als erster marathonläufer, der sich im kostüm einer stubenfliege schwitzend zum narren machte. rund um bordeaux. geschätzt wird rubinowitz indes für seine übellaunigen wie anrührenden skizzen flugunfähiger hühner und enten sowie flugfähigen geflügels und hasen. sein glück aber findet der tierfreund im rumgurken mit seiner italienischen freundin, der eselin pauline und deren sohn werner. in den abruzzen.
dr. peter iwaniewicz ist biologe, abteilungsleiter im klimaschutzministerium, hochschuldozent und wissenschaftsjournalist. berühmt aber wurde er durch seine tier (und mensch)-kolumne im falter, in dessen redaktion iwaniewicz und rubinowitz einander vor jahrzehnten auch kennenlernten. seither in zahlreiche zwiegespräche über bärtierchen, gnuziegen und andere faunistische sonderlinge verstrickt – und dabei oft versumpert. in wiener gaststätten. im schauspielhaus aber wird es um alles gehen müssen: von a wie aal bis z wie zz top!

 

jana volkmann, judith schalansky, bettina hoppe, peter iwaniewicz, tex rubinowitz,
alexander iwanov, gerlinde hacker, martin wolf, kalle laar
(c) manfred poor, rené fietzek, sven serkis, helfried valenta, andy urban, harriet nachtmann

 

>> biografische ergänzungen (pdf download)

 

FOTOS vom festival

tag 1: https://www.facebook.com/media/set/?set=a.586572416597862

tag 2: https://www.facebook.com/media/set/?set=a.586596343262136

 

 

tickets

>> https://www.schauspielhaus.at

e: karten@schauspielhaus.at

die veranstaltung findet unter berücksichtigung der aktuell geltenden corona-bestimmungen statt: >> https://www.schauspielhaus.at/covid19

 

TIPP:

die heurige ausgabe von sfd& soll zum festival erscheinen:
sfd& tiere
zeitschrift der schule für dichtung Wien #04

info >> htps://sfd.at/newsflash/sfd-tiere-texte

 

 

(c) giovanna bolliger/schauspielhaus

 

eine kooperation von schule für dichtung und schauspielhaus wien

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

rückblick heimsuchungen-festival 2021 >> https://sfd.at/festival2021

 

 

30 jahre schule für dichtung in wien >> http://sfd.at/30jahre