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langgedicht der onlineklasse

in der klasse von michael stavarič ist im schreibkollektiv die lyrische litanei "mit Poesie lässt sich gar nichts" entstanden. die poetInnen: alterlaa, BOA, chzureich, ConstanzeG., coolempress, gnomerich, Goldrute, hippieprinzessin, Jutta, Lydula, Maret, MaschaBe, mschwaerzler, paprika, Petri_B, samya, SofieMorin, sozbek, Strangeologist, trivialpoet, Worrkreative & michael stavarič

langgedicht der onlineklasse

info zur klasse (übung, alle beiträge, reviews von michael stavarič, kommentare) >> http://sfd.at/poesie

lyrische litanei
"mit Poesie lässt sich gar nichts"

 

von alterlaa, BOA, chzureich, ConstanzeG., coolempress, gnomerich, Goldrute, hippieprinzessin, Jutta, Lydula, Maret, MaschaBe, mschwaerzler, paprika, Petri_B, samya, SofieMorin, sozbek, Strangeologist, trivialpoet, Worrkreative
& michael stavarič

 

Mit Poesie lassen sich keine Mückenschwärme vertreiben, und es ist dabei einerlei, ob man mit einem Gedichtband wedelt oder fuchtelt. Die Mücken lassen auch so jeden Anstand missen und fliegen einem mitten ins Herz, wo sie mit ihren Stechrüsseln wie Dartpfeile stecken bleiben.

Poesie vermag keine Wunden zu heilen, vor allem nicht die, die einem scharfzüngige Kiesel an mückenreichen Gewässerrändern in die Füße schneiden. Die fremdartigen Schriftzeichen, die sie hinterlassen, sind grundsätzlich und absichtlich unverständlich, da könnte man bestenfalls blutende Sohlen mit Papier trocknen, dem die Zeilen ohnedies nichts wert sind: Saugfähigkeit ist tröstlichen Worten stets vorzuziehen. Poesie ist dabei so nützlich wie die brünette Arbeitsfläche einer eingekochten, gewolften & gegängelten Yogamatte (auch glutenfrei möglich).

Poesie baut dir auch kein Haus, das tut sie für niemanden, doch lässt sie dich großzügig darin wohnen, in Gedanken freilich. Poesie hat keinen Gebrauchswert, bei ihr weißt du nie, was du zu bezahlen hast, in Pfund wuchert sie zudem ungeniert, nicht ein einziges Wort kauft sie dir ab, diese lässliche Disziplin, und immer musst du in Vorleistung gehen.

Mit Poesie lassen sich keine Kähne bewegen oder berühren, auch Gedanken und Verse nicht, das Ruder wie plätschernde Wellen, so kommt man keinesfalls vom Fleck, der Tod und die Mücken werden uns holen.

Mit Poesie lässt sich niemandem zuvor die Beichte abnehmen, nicht dass wir viel zu beichten hätten, und nicht dass wir nicht hätten beichten gehen sollen: Wie wir heimlich ein Maisfeld abernteten, nur weil der Bauer einer falschen Partei angehörte; oder wie wir
auf dem nächstbesten Friedhof auf jedem Grabstein ein Post-it hinterließen mit den Worten "Wacht endlich auf"!

mit poesie lassen sich keine mäuler stopfen, selbst wenn sie sich als buchstabensuppe präsentiert, es fehlt doch stets das salz, und jedes versmaß bleibt einem im halse stecken, wenn die worte nämlich in die falsche kehle geraten. zerpflücke dein gedicht in tausend stücke, erweiche es mit deinen tränen und knete es zu knödeln, es macht noch lange nicht satt, eher bleibt der falsche hase ein poetischer akt.

Mit Poesie lässt sich kein zerrissenes Herz vernähen, die Risskanten würden dabei ausfransen, kostbare Erinnerungen hinausströmen und das ewige Pumpen würde selbst die verwegensten Verse aufs Äußerste strapazieren. Sie selbst genösse das freilich allemal, denn sie labt sich unanständig und gern an traurigen Geschichten. Wirksamer wäre da wohl ein metaphysisches Schweißgerät, selbst dann noch, wenn es heimlich Reime raunte.

mit poesie kann man wahrlich so gar nichts anfangen, sie steht bestenfalls im regal, schön gebunden und verstaubt gewiss, wenn die milch sauer geworden ist, tut sie nichts dagegen, wie könnte sie auch, ich muss dann meinen blacktea pur trinken und die buchstaben selbst zu worten zusammensetzen. so ist das leben, dem einen gefällts, der anderen nicht, die poesie lässt uns im stich, so lasst uns zumindest gemeinsam ein amen summen.

Mit Poesie kann man sowieso nichts ausdrücken, nicht einmal Pickel, was fast schon wieder eine Klasse für sich sein müsste. Mit ihr kratzt man wirklich nur an der Oberfläche, kein Eiter lässt sich mit Versen beseitigen, vielleicht ja mal ab und zu Blut oder Wundwasser, und am Ende verbleiben nur Narben, in allen Gesichtern und Gedanken. Auf Poesie sollte man lieber verzichten, vielleicht ja wie aufs Atmen, wo wir unweigerlich unsere Lungen mit Gasen, Bazillen und Staub füllen. Diese zersetzen unsere Gedanken, es verbleiben Worte, die in unser Herz abrutschen, sich bis zum Magen durchfressen, und wenn wir versuchen, sie herauszuwürgen, passiert nichts.

mit poesie lässt sich kein blumentopf gewinnen, jedenfalls keiner, den ich gern hätte und anstatt alles ordentlich zu gießen, rezitiere ich tagelang gedichte. bald schon stehe ich am landfrauenstand und beweine meine eingegangene geranie.

Mit Poesie lässt sich auch kein geregeltes Leben führen, zu den unmöglichsten Zeiten kreuzt sie bei dir auf. Hast du dich abends ein bisschen erholt, weckt sie dich, weit nach Mitternacht, und dann stehst du da mit deinem ganzen Gedankengewölle, legst den Kopf an die kalte Scheibe und versuchst, irgendwo im schwarzen Garten einen Sinn zu erkennen, den du längst schon erahnt hast. Mit Poesie lässt sich freilich auch kein Abstand halten, aus aktuellem Anlass weisen wir darauf hin, dass Verse einem jeden auf den Fersen sind. Die Ferse stellt im Übrigen den Ansatz für die Achillessehne dar, Desinfektionsmittel erwiesen sich in klinischen Tests als unwirksam. Stand heute hilft nur eins: Verse rezitieren. Fersengeld geben.

Die Poesie vermag überhaupt nichts, sie kann sich ja nicht einmal aus dieser Aufgabe heraushalten, sodass man sich am Ende dieses Langgedichts gezwungen sieht, es mit folgendem Warnhinweis für PoesieAllergiker*innen zu versehen: Achtung, kann Spuren von poesieähnlichen Sprachbildern enthalten.

Mit Poesie lässt sich weder Hunger noch Durst stillen, aber sie macht die Trägen satt, während sich andere durch die Poesie saufen, mehr wollen und gierig bleiben und suchen und suchen, weil die Sehnsucht nach mehr bleibt. Wie ein hungriger Kojote, der auf Aas wartet wie ein Geier, ohne je selbst zu jagen, in Ewigkeit, und auf satte Augenblicke hoffend, die ewig erscheinen im kurzen Moment. Mit Poesie lassen sich keine Minuten füllen, nur Tage und Nächte, die dennoch leer bleiben; der Appetit wird geweckt, nur ein Amuse-Gueule, eins noch, und dann noch eins, aber Poesie kann deine Gier nicht stillen. Nur Worte, sagen die Satten, bloß Buchstaben auf Papier, die Trunkenen, die ihre Zeit mit Wein gefüllt haben und kalten Platten, während du auf Sättigung durch Worte hoffst.

mit poesie lässt sich zudem kein brot backen, denn so sehr man sein herz auch in versen in den teig ausschüttet, er geht nicht auf und es bleibt nur, sein scheitern auszubuchstabieren, und das poetische rezept herauszusuchen, das mit sicherheit schon irgendjemand aufnotierte.

Mit Poesie lässt sich so gar nichts vertuschen, es sei denn, es soll alles in Schwarz oder Blau wortgewaltig auftauchen, aus undurchschaubaren Tiefen vermag sie wohl zutage zu treten. Dann kann das eine und andere Wort sie vollends erretten.

Mit Poesie lässt sich keine Normalität herstellen, weder die alte noch die neue noch sonst irgendeine, mit Poesie lässt sich einfach kein Staat machen. Sie ist so überflüssig wie ein Kropf... chch ... chohch ... ein Kehlkropftier, das sich windet, da, aus deinem Mund. Schlägt dreimal mit dem Schwan, und Hals über Kopf läuft's dir davon, eine Sonnenspur im Gras, Mon Dieu,  wenn das deine Eltern wüssten!

freilich, die poesie kommentiert und erklärt nichts und nie, im besten fall beschreibt sie das, was am helllichten tag und in der dunkelsten nacht geschieht, poesie weint keine tränen, sie bedient sich einfach der unseren.

Poesie ist so unnütz wie Kinderhände auf einer Großbaustelle, immerzu fasst sie einem an die Gefühle, verführt ohne Unterlass zum Spielen und provoziert dabei mit tagediebischer Attitüde. Bei ihr blieben alle Fugen unklar, sie stopfte bloß knittrige Blütenblätter in die Ritzen, des Duftes wegen, und gäbe man ihr einen Bohrhammer in die klebrigen Pfoten, so meißelte sie gewiss zuckerverlorene Verse in den frischen Verputz.

Und wer Poesie schreibt, verblüfft höchstens Ärzte, mit 'ner Schicht Blamage. Dichten ist wie Fußpflegekaugummi im Vollkornschuh:
zum Granatapfelauspeitschen!

die poesie hat  auch von liebe schlicht keine ahnung: du scheiterst, ihr ist das egal. du leidest, das schert sie nicht. du fällst, sie verwendet dich.

Aus Poesie lässt sich vor allem kein Kaffee aufbrühen, selbst dann nicht, wenn sie ausreichend Bitterstoffe enthält. Unter optimalen Wachstumsbedingungen kirschte sie womöglich gar in unseren Breiten, bildete dabei jedoch prinzipiell keine anständigen Bohnen aus, und ihre Früchte widerstünden ohnedies jedem Mahlwerk. Sie vermag keine Toten zu erwecken, da hülfe es auch nicht, wenn der bereits abgegebene Löffel in ihr steckenbliebe.

Mit Poesie lassen sich keine Schmeißfliegen abwehren, grün-gold-schwarz-schimmernde-unappetitlich-schöne, vielmehr lockt sie das Seelengeschmeiß an und die Worte kleben an einem, haften dort wie Fliegen an gelben Klebebändern, die von der Decke baumeln, sie strampeln mit ihren klebrigen Füßchen und Flügeln und Worten und Buchstaben um ihr Leben – und um deines.

Poesie macht einfach nichts schöner, mit ihren Schnörkeln und Lügen, wobei sie selbst die größte aller Lügen darstellt. Eine Illusion. Nur das billige Abziehbild eines Sternchens, das wir an der Supermarktkasse als Gratiszugabe erhalten. Der Kaugummi, den wir aus dem Automaten ziehen, in der Hoffnung, irgendwann den vermeintlich wertvollen Ring zu erwischen.

Mit Poesie lassen sich keine Sümpfe trockenlegen, vielmehr versinkt der Poesie-Verliebte in den sauren Wiesen schöner Worte, versteht nicht, wie es möglich ist, das Moor der Wahrheit mit message-control-ten NLP Botschaften zu umschiffen und dauer-streamend den Anschein zu erwecken, messias-gleich über Wasser gehen und das türkise Meer der Wahrheit teilen zu können.

Mit Poesie lassen sich keine Gemüter beruhigen, sie ist dabei nicht direkt aufrührerisch (oder nur selten). Eher noch ist sie wie der Wind, der unbeirrbar durch die Großstadt streift. Morgens kommt er dir entgegen, du bemerkst ihn kaum, denn in Gedanken bist du schon im Büro. Erst am Abend fällt er dir wieder ein und du fragst dich: Was war das? Wo kam er her? Was wollte er hier?

Mit Poesie lassen sich keine Gläser füllen, nicht Wein, nicht Schnaps, nicht Bier kann Poesie ersetzen, und doch macht sie trunken, verlangt nach mehr, um eine Sehn-Sucht zu stillen, eine Sucht, ein Sehnen, nach mehr, immer mehr und man kann die Finger nicht von ihr lassen, ihr niemals widerstehen, wenn sie einen einmal in ihren Fängen hat.

Mit Poesie lässt sich kein Pullover stricken, kein Schal häkeln, kein Makramee-Ornament knüpfen und kein Schultertuch weben. Poesie ist unnütz, aber wirklich arm sind doch die, die ohne diesen vermeintlich nutzlosen, aber einmalig seelenwärmenden Wort-Estrich nie erfahren, dass sie auf ihren super-geflorten Spannteppichen durch eine leere Seelenlandschaft bloß oberflächlich am wahren Leben vorbeigleiten.

Poesie gehört schlicht verboten mit ihren Versen, Metren, Strophen, auch die Lyrik soll, anstatt zu reimen, lieber schnell am Strick verkeimen. Von Gedichten gar nicht zu sprechen, sie sind nutzloser als pinke Elefanten, die als Metapher für Seltsamkeiten herhalten müssen.

Mit Poesie kann man schwülen Sommertagen keinesfalls begegnen, bei Hitze umschlingt sie dich sogleich, lässt sich nicht ins Gefrierfach sperren, sondern spuckt sinnliche Worte auf die nackte Haut. Die Schweißperlen, Wölbungen und Kurven, die feinen Härchen im Sonnenlicht, alles greift sie auf, verstrickt es mit lüsternem Blick und steckt es dir zeilenweise in die Unterwäsche, während du flitterhaft zu atmen versuchst.

Poesie ist einfach nicht mehr auszuhalten, arglos treten wir ihr entgegen, in unserer Sehnsucht nach Schönem, doch noch bevor wir sie begrüßen, kotzt sie uns die (ihre?) Wahrheit vor die Füße: giftgrün. Und wenn wir in sie treten, klebt sie uns wie Hundescheiße am Schuh, erinnert uns bei jedem Schritt: Mit. Schritt. Poesie. Schritt. Lässt. Schritt. Sich. Schritt. Nichts.

Mit Poesie kann ich selbst meinen Liebsten nicht beglücken; er versteht sie nicht, wie ich sie verstehe, und doch stärkt die einseitige Sprach-Leidenschaft die gemeinsame Liebe, weil er mich einfach machen lässt und weiß, dass mein einsames Poesie-Glück auch ihn zu späten oder frühen Stunden in der Hitze der Sommertage erfreuen wird, wenn der Kopf leer geworden ist und der Körper spricht.

die poesie braucht dich nicht, das weiss sie, sie spielt mit dir, mit deinen ups and downs, weil du das möchtest, keine wahl hast. du lässt sie dein herz küssen und willst gleich darauf, dass sie es dir zerreisst.

mit poesie kann man auch den tod nicht verhindern, entweder kommt er plötzlich und unerwartet, oder man dämmert ihm im morphiumrausch entgegen, kein raum im kopf für poesie, allenfalls taucht sie im abspann wieder auf. der tod scheint wie ein punkt am ende eines langen satzes, mit welchem wort ein leben endet, weiß man nicht.

Mit Poesie lassen sich keineswegs jene Zeilen erklären, die ich dir nicht schrieb, bloß mit dem Finger hektisch in Baumrinde kratzte, unter den Nägeln noch deine Haut, deinen Geschmack auf der traurigen Zunge, und deinen Namen fraß der Wind. Mit den Klauen hat er ihn zuvor zerfleddert, auf meinen Wunsch, trägt Überreste in lauen Nächten zu mir, wenn eine sanfte Brise meine Knöchel umspielt. Poesie könnte das nie.

die poesie lässt sich freilich nicht kaufen, nicht von dir, nicht von mir. mit deiner kreditkarte hast du bei ihr keine chance, und sei sie noch so golden. als vielflieger punktest du im labyrinth der worte nicht, dieser spiegel bleibt blind, deine augen leer, der markt allgegenwärtig.

die poesie versteckt sich allerdings nicht, steht mitten im leben, drängt sich nicht auf, entscheidet sich nicht für das böse. führt keine kriege, mordet nicht, klaut nicht, betrügt nicht, grenzt nicht aus. zerstört nicht die welt, verunreinigt nicht das wasser, rodet keine regenwälder, beutet die meere nicht aus. baut keine atomkraftwerke, missbraucht keine kinder, vergewaltigt nicht, grenzt nicht aus, nutzt nicht aus. ist nicht korrupt, ist null und nichtig, ein segen.

Mit Poesie lässt sich dennoch kein Weltfrieden erreichen, wobei das streng genommen noch zu beweisen bliebe. Stellte man sich siebenkommaachtmilliarden Menschen vor, die mit konfliktvergessener Hingabe über das Unvermögen ebenjener unnützen Chimäre dichteten, geriete diese Hypothese vermutlich doch ins Wanken. Stattdessen erhöben sich womöglich die Mycetozoen (Schleimpilze) aus den feuchten Falten der Wälder, Weltherrschaft, ade.

Mit Poesie lässt sich ja gar nichts vergleichen, drum kann man sie weder fassen noch eingrenzen noch definieren; jede Metapher bringt das Unbehagen mit sich, womöglich ihr Wesen – gleichsam von innen her – zerstört zu haben. Poesie, das sind nur Schemen im Wald der Worte.

Mit Poesie lässt sich die Sonne nicht wenden, selbst heute nicht, denn sie tut es ganz ohne ihr Zutun, und die Poesie tut so rein gar nichts von dem, was ihr aufgetragen ist, oder höchstens zufällig, denn sie erkennt keinen Auftrag als ihren, selbst im grellsten Sonnenlicht nicht, und springt daher nachts auch nicht über Feuer, denn sie weiß nicht um die Zeit, die verstreicht, und nicht um die Verantwortung für ihr Vergehen.

Mit Poesie lässt sich gar nichts sagen, bewerkstelligen, ausdrücken, verändern, dachte ich zuerst, doch: Gibt es überhaupt "Welt" ohne Poesie? Muss sie an uns herangetragen werden oder tragen wir sie die ganze Zeit mit uns? Wer hat das erste Gedicht geschrieben? Warum? Für wen? Wann? Und so wirft der in das Gladiatorenrund (schon blecken die Tiger die Zähne!) geworfene Anfangssatz mehr Fragen auf, als er Antworten geben könnte.

Poesie ist gänzlich ungeeignet für morgendliche Yogaübungen, dafür fehlt ihr die nötige Disziplin, biegt sich mein Rücken, dann biegt auch sie sich, spürt meine Flanken auf und greift voll Wonne hinein, während ich nicht begreifen kann, wie sie es fertig bringt, meinen Leib zu packen, ohne Hände und Krallen, während mein verwirrter Geist immerfort ihre Rätsel wendet, hin und her, und doch nichts je zu fassen vermag.

mit Poesie lässt sich keine Gottesanbeterin zum Sonnengruß bewegen, kein Hunger stillen. auch wenn ich sie anredete bei all ihren Namen: Maringgele, Leshandl oder Gott weiß wie, sie ließe doch nicht ab von ihren dunklen Leidenschaften. käme aber vielleicht ins Wanken.
umrauscht, zerzaust, beim Hochamt die Leviten.

Poesie bringt dir nicht die Geliebte zurück, schlimmer noch, sie macht dir vor, sie könne alles erreichen, auch das, wenn du dich hinter ihre Worte duckst, sie der Angebeteten ehrfürchtig über Mobilfunknetze hinweg zuschiebst, als wäre das hier eure Bar und der Abend einer von früher und die Zeit hätte euch nie eingeholt und du glaubtest dir immer noch alles.

Mit Poesie lässt sich kein Schmerz lindern, sie hält Dir nicht die Hand, wenn sich die Tränen ihren staubigen Weg über die Wangen bahnen, sie hält Dir nicht den Kopf, wenn der Schmerz sich ins Klo auskotzt, sie stillt Dir keine Sehnsucht, wenn Dein Herz sich verklumpt und um Deine inneren Organe wickelt, sie steht nur da, klopft mit dem Stift einen Rhythmus der Qual und schaut Dir dabei zu, wie Du verzweifelst.

poesie hilft dir nicht, wenn dein herz unter wasser steht und die gefühle zu ertrinken drohen, und deine kleinen grauen zellen als rettungsring völlig versagen.

Mit Poesie kann man sich nicht einmal ein Bild machen, legt man auch Pinsel und Farbtuben zur Leinwand, auf die Staffelei, und öffnet den Kameraverschluss für eine Langzeitbelichtung des beinahe Dunkeln. Aber sie hält nicht still, huscht in jede Ecke, hintergeht jeden Fokus und kommt stattdessen mit einem Strauch von Metaphern auf dich zu marschiert, die wie Heliumballons nur darauf warten davonzufliegen.

Mit Poesie lässt sich kein neugieriges Hermelin fangen, das possierliche Tierchen wüchse ihr ohne jeden Zweifel augenblicklich ans hermetische Herz und seine schwarzen Knopfaugen inspirierten sie zu schwärmerischen Reimen, aus denen sich pelzige Räuber grundsätzlich nichts machen. Ihr jedoch wäre das einerlei, denn in ihren Augen sind wir alle gleich und sie erwartet nichts zurück für ihre Liebe.

Die Poesie kann nichts dagegen vorbringen, dass in deinen Nächsten, selbst jenen, die du aus dir geboren haben magst, das Blut anderen Gezeiten folgt, ja einem fremden Mond vielleicht. Die Gischt auf ihren Wellenkämmen schäumt dunkel und Blut fließt, während du immer noch verzweifelt nach dem Sextanten suchst, nicht bereit einzuräumen, keine Gedichtzeile weit, dass du eigentlich keine Ahnung hast, wie dieser aussieht.

Mit Poesie lässt sich kein Blatt wenden, kein Bleistift spitzen, keine Ruhe halten, auch keine Liebe erklären und kein Machtmissbrauch; sie schafft es nicht, Eisbären zu füttern und Gummibärchen gerecht zu verteilen, oder gar dem Deserteur Tarnkappen zu nähen; kein zarter Hauch auf der Haut, keine Rattenfalle im Flüchtlingscamp lässt sich durch Poesie zaubern, nicht mal die Zeit kann sie fließen lassen.

Poesie taugt freilich nicht einmal zum Pausenbrotumwickeln. Druckerschwärze, die sich löst, bedenklich ihre Vereinigung mit Butter. Diese wenigstens schmilzt ein Auge hinein, ein wahres Fenster zur Welt.

Mit Poesie sollte man keinesfalls Kinder erziehen, denn anschließend wollen diese dann in Luftschlössern wohnen, Einhörner züchten und Dichter von Beruf werden, mon dieu!

Poesie kann ja nicht mal eine ordentliche Verräterin sein: Sie verrät nicht, dass Chefs in fetten Sesseln auch nur auf dem Hintern sitzen, Mastschweine auch intelligent und feinfühlig sind, und dass Sehnsucht jeden Millimeter Haut zum Glühen bringen kann. Poesie hat nie verraten, warum AKWs immer sicher sind und zugleich immer sicherer werden, oder dass Menschen mit Menstruationshintergrund wunderbare Wesen sind. Poesie verrät nichts.

Mit Poesie kannst du niemanden vorm sicheren Tod bewahren, vor dem unsicheren im Übrigen auch nicht. Du kannst dem Tod Zirkustrikots anziehen, ihm eine Hundefratze ins Gesicht malen oder ihn aufs Dreirad deiner kleinen Schwester setzen. Du kannst sein Ansehen zerzausen und seine Begierden aushungern, ihm in deinen Gedichten das Haus verbieten und ihn läppisch heißen. All das kannst du, aber eigentlich vermagst du nichts.

Poesie ist somit gänzlich ungeeignet, einen leblosen Körper zu beatmen, wenngleich das rhythmische KCH-PFF-KCH-PFF der Maschine in manchen Nächten wie ein leises Gedicht durchs Zimmer schwebte, während ich dich mit bangem Herzen suchte in diesem stillen Gesicht, deine schlaffen Hände wieder und wieder betastend, und das Weltenpendel einfach weiter schwang, Tage und Nächte und Monate, als wäre nichts von alldem je geschehen.

Poesie ist kein Future-Kontrakt und kein schneller Börsengewinn, keine Zukunftsvorsorge und kein Sparbuch – ohnedies ohne Zinsen – und auch kein Hedgefonds, der Einnahmen auch bei fallenden Lebenskursen verspricht. Poesie ist keine volatile Kryptowährung, aber wer hindert uns daran, die Schönheit der Worte für immer als Poesie-Coin in der Blockchain-Unvergänglichkeit einzufrieren und neue Literaturwerte zu schaffen?

Die Poesie weiß nichts und kann sich doch ihrer Glaubwürdigkeit gewiss sein: Wir wollen, dass das Leben ewig währt und Lungenmaschinen keinen Preis haben. Die Poesie glaubt, sie würde alles wissen: davon, wie Körper einander bewohnen, sich finden und wieder auseinandergehen vor verstummten Herzlinien. Die Poesie weiß dennoch vom Leben nicht mehr als ein Straßenköter.

Poesie trägt uns nicht die Toten aus dem Haus, ersetzt keine Möbelpacker mit schwitzender Stirn und sich kräuselndem Haar auf Armtattoos, wo Labradorwelpen schwimmen, Oktopoden und Meerjungfrauen mit Medusenhaupt, die blühenden Herzen aufgespießt auf Ankerenden,Taue zu Achten geschlungen in verwegenster Unendlichkeit.

Poesie vermag keine welken Blätter zur Fotosynthese zu bewegen, sie kann auch keine Blumen küssen, und mögen diese noch so blau sein, selbst Lippenblütler wenden ihre Köpfe, sobald sich forsch ein Versfuß nähert, am Ende noch von hinten.

Poesie kann schlicht nichts... auf Bestellung, auf Rezept oder auf Teufel komm raus und schon gar nicht auf Befehl oder Kreditkarte; zudem kann sie nicht warten, nicht aufs Verlangen, nicht auf Identitätsnachweise noch auf die Nachtigall, und das alles haarscharf zwischen den Stühlen!

Wir pumpen uns Poesie in die Venen, und wäre sie Null negativ, könnte sie vielleicht sogar Leben retten. Doch sie steigert nachweislich den Blutdruck zu den ungünstigsten Zeiten, daher sollte man beim Autofahren keine Poesie einnehmen. Personen mit Herzschrittmachern sollten gänzlich auf sie verzichten. Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Buchhändler oder Bibliothekar.

Poesie wird dir freilich niemals neue Stühle anfertigen. Sie triebe gewiss nur verbotene Spiele mit gaunerhaften Spänen, ihre linkischen Hände wären zweifellos viel zu heiß für das Material, und ihr unbändiges Verlangen nach Verwandlung ließe sie immer wieder mit Feuerzungen übers Holz lecken und es bis zur Gänze verbrennen, denn am liebsten tanzt sie barfuß auf kalter Asche und verdrechselt damit linden Holzwürmern den Kopf.

Die Poesie ist das miserabelste Kindermädchen, das du dir vorstellen kannst. Die Sprachen, die sie deine Kinder lehrt, werden in keinem anderen Erdteil gesprochen. Anstatt ihnen Pflaster auf die Wunden zu kleben, setzt sie deinem Nachwuchs die Sämigkeit des Blutes auseinander. Ihr Gutenachtkuss überträgt bestenfalls das Beben von gewittrigen Grashalmen. Und glaub mir, sie kann kaum die erste Strophe des Einmaleins.

Poesie hat natürlich keine Zukunft. Sie trägt dich in einen Raum, wo die Zeit sich vergisst. Wo die alten Bibliotheken noch nicht zerfallen sind. Wo sie für immer prall in der Phantasie reift und gerade jetzt geboren wird. Wo Androiden sich ineinander verlieben. Sie tanzt die Zeit entlang in jede Richtung, die sie will.

Die Poesie gibt vielleicht vor, Schaustellerin zu sein,1000 Glühbirnen, vier neongrelle Farben am Autoscooterbaldachin. Sie behauptet, drei resozialisierte Helfer hebelten ihr die verkeilten Wagen wieder frei, entwirrten ihre Stromabnehmer. Prügeleien seien oft zu schlichten. Wenn die Signalhupe tönt, die Ansage? Macht immer noch sie selbst. Gleich gehts looos! Die krasseste Musik, die heftigsten Crashs! Glaubt ihr nicht, sie lügt.

Poesie kann dem Tod nicht auf die Schliche kommen, aber den Schmerz ermessen. bisweilen näht sie ihm auch neue Kleider, doch werden sie ihm schnell zu eng. er wächst heraus aus ihnen. so wie er überhaupt aus allem schnell heraus wächst. viel zu schnell. nie passt der Tod in irgendeine Konfektion. und alle Nähte platzen.

Die Poesie sucht ständig nach der Form, aber sie passt sich ihr nicht an. In unermesslich schwarzen Bahnen rollt sie die Stoffe aus, steckt sie mit Sternen fest am Firmament und zeichnet die Konturen. Ganz ohne Maß zu nehmen, und sie zögert nicht. Lange vor Morgengrauen schneidet sie dem Himmel Teile aus: Fenster und Augen, Löcher, Münder.

Die Poesie redet freilich viel über Dinge, die sie nichts angehen. Über die Auswirkungen der Dürre, über das Überwintern von Träumen, das Vertilgen von Kindheiten und Anprobieren der Wehmut, das Niederschmettern von Ahnungen sowie die Sinnlichkeit von Blütenblättern hat sie viel zu sagen, findet sie. Allerdings weiß jeder dahergelaufene Käfer, dass sie von Blütenblättern rein gar nichts versteht.

Mit Poesie nährst du kein Nutzvieh, bloß Hoffnung. So schön Lyrik ist, Hochlandrinder magern damit dramatisch ab, Steinschafe darben, Borstenvieh verhungert, Perlhühner fristen, und selbst Zwergkarnickel leiden Mangel, willst du sie mit Verszeilen abspeisen. Allein Bücherläuse stehen bei ihr gut im Futter, verdrücken zuweilen ganze Gedichtbände. Und Ambrosiakäfer vielleicht, die benötigen nichts weiter als ihren Pilz.

Poesie bringt nicht genug Umdrehungen zustande, um auf dem Jahrmarkt per Zentrifugalkraft Fäden aus Zucker zu schleudern, daraus Nester zu spinnen, die um einen Holzstab gewickelt zu einer wattigen Wolke werden und im Mund sogleich wieder zerfallen.

Mit Poesie kann man keine Welten kartographieren, weder äußere noch innere, obschon sie unablässig fremden Boden abtastet und alle Himmelskörper ihrem Maßstab unterwirft. In ihren Schummerungen verliere ich mich, erhebe mich an ihren Höhenlinien, gleite daran empor, die Flügel, die Federn näht sie mir an, und doch bleibt alles Land mir fremd, verweigere ich mich den blutigen Grenzlinien und will den Weg nicht wissen.

Poesie kann sich gewiss nicht um sich selbst drehen: Sie strudelte dabei ins Leere oder verkäme auf Biedermeiersofas in aristokratischer Sitzhaltung; denn sie kann sich nicht zurückhalten mit Zungenzündeln, mit teufelsvertreibendem Lachen, vor dem selbst der Tod sich krümmt.

die poesie ist freilich nicht nichts. sie ist viele, viele bunte smarties im regenbogenpopcorntopf gemischt mit sauren zungen.
ganz genau hört sie hin. lässt es krachen. mal grün. mal lila. dann gelb und blau. oft rot. dann und wann auch orange. ihre farben schmecken ihren lebenslügen. immer ist sie im schweren leicht. am verträglichsten, wenn sie sich teilt.

Wenn die Poesie ja wenigstens ein Schuhlöffel wäre. Als solcher hätte sie, wo schon nutzlos beim Gewichtewuchten, den Möbelpackern doch wenigstens beim Manövrieren in engen Treppenhäusern helfen können und abends aus den feuchtgeschwitzten Lederstiefeln mit ihren schweren Kappen vorn am Zeh.

Poesie ist auch nicht in der Lage, schwarzhörnige Totengräber anzulocken. Sie verfügt nicht über die dafür notwendigen Duftstoffe. Gut so, es wäre sonst kein Tatort vor ihr sicher. Tagaktiv, auffällig, doch unerkannt würde sie jedes Flatter-, Warn- und Absperrband im Fluge überwinden, um ihrer Vorliebe für Verrottetes, Aas, Pilze und Kadaver Ausdruck zu verleihen.

Mit Poesie ist kein Garten zu machen. Sie gibt sich üppig und maßlos, schlängelt sich auf Hochbeete und reizt dort die Tomaten zur Weißglut. Sie ist nicht zimperlich im Austeilen von Grün und lässt wahllos sprießen. Heimlich aber träumt sie von der großen Gartenschere.

Und dann schießt die Poesie auch noch daneben an der Kirmesbude, trifft zwar die Plastikrosen in Reihen, jedoch ganz unballistisch, nur mit Worten. Nicht einmal ein Trostpreis ist da drin, so ohne Knall, die traurigen Fische aus PVC, das Armband, das jetzt schon nicht mehr schließen will. Unerreichbar bleibt der weiß geblichene Tiger, der vom Budenhimmel baumelt. Dabei hätte sie für ihn sogar schon einen Namen.

Poesie respektiert freilich deine Grenze nicht. Steht ungebeten in deiner Sicherheitszone. Berührt dich mit sanftem Untergriff. Weckt deine Nachttiere, die weißen, nackten, die im Dunklen jagen, dich mitnehmen auf 1001 Streifzüge durch deine windzerrissene Steppe.
Dann lässt sie dich allein, mit dem brennenden Verlangen, jemandem zu erzählen, was du alles unter der Erde gesehen hast.

Poesie berührt dich niemals an den richtigen Stellen. Nicht jene, die du vorher für sie ausgesucht hast, nie die entblößte Haut, die du bereit bist ihr hinzuhalten. Die nicht. Sie steht hoch über den Dächern deiner Ahnungen am Rande des Beckens, lachend, als wäre all deine frühere Erdnähe gar nichts, taucht deine Nachttiere in weiße Milch, leckt sich die Finger sachte und hebt eine unvertäute Begierde aus der Taufe.

Poesie taugt auch in keinster Weise zum Zurückschneiden alter Obstbäume, hast du mich leise verflucht, während ich anhob, dir den ganzen geliebten Gedichtband entgegenzuschreien, um dich vom Gegenteil zu überzeugen. Sie hingegen umrankte währenddessen nachträgerisch die Füße der Leiter, von der du dann herunterfielst, ein Mauseloch wäre schuld gewesen, was ich natürlich besser wusste, dir aber niemals verraten hätte.

Mit Poesie lässt kein Fallobst sich ersetzen, weder Mostbirne noch Ida Red, um im August die Wespen uns vom Leib zu halten; nur auf den überreifen Früchten, die Haut geplatzt, noch sonnenwarm, werden diese torkeln, schwer gesoffen vom vergorenen Saft, und darüber uns vergessen.

Mit Poesie lassen sich keine Gräber schaufeln. Ein Totengräber verfügt zu diesem Zweck über geeignetere Gerätschaften, die tiefer, schärfer und präziser in die Erde eindringen, um Platz zu verschaffen, die Nervenenden abzuhacken, kalter Stahl. Die nächste Wurzel trennt ein spitzer Schrei. Lipidinaras Blick trifft auf das Auge des Lakaien, während von unten knorrige Klauen ihn umfassen.

Mit Poesie lässt sich selten sofort reagieren. Stattdessen sinken die Eindrücke durch Hunderte Schichten des Ichs und sprudeln, Jahre später vielleicht, gereinigt, verdichtet, verwandelt, an unvermuteter Stelle wieder ans Licht. Vielleicht, wenn er Glück hat, steht dort ein anderer. Der greift beherzt mit beiden Händen hinein: Er lässt sich die Verse über die Arme laufen und taucht sein Gesicht tief hinein.

Poesie bläst auch keinen Zapfenstreich, verstimmt und molto Tremolo, auf einem arg verbeulten Horn, sie wirft kein Taschentuch aus Brüsseler Spitze seufzend in das frisch gebrochne Grab, mag sein, wenn die Trauergäste Braten essen, dann erscheint sie kurz und blättert, kleines Lächeln auf den Lippen, durchs Kondolenzbuch mit den nass geweinten Seiten.

die Poesie kennt selbst nicht ihre nächsten Schritte. manchmal lässt sie dich an der Schwelle stehen. gehst du dann hoch mit müden Schritten in die Kammer, sitzt sie mit ausgebleichtem Lächeln auf der Kante und sagt: heut Nacht höre ich auf den Namen Roy.

Die Poesie ist keine fleischfressende Pflanze und legt auch keine Klebefallen aus, an denen Tag- und Nachfalter verenden, Fallen aus Schmalz und Schleim und ähnlichen Essenzen. Sie streut kein Salz auf Arion distinctus und sie zerteilt ihn nicht mit scharfer Klinge. Auch die forensische Hortensie konnte die diesbezüglichen Verdachtsmomente letztlich in keinem Punkt verdichten und erhärten.

Die Poesie kennt natürlich keine Rücksicht. Du kannst dir nie sicher sein, ists heute ihr Lust- oder Kampfschrei. Möglicherweise ernährt sie sich insgeheim von Wankelmut, während dein Zaudern angeblich an ihr vorbeigeht. Alle Lesarten flimmern hart. Einmal denkst du sie hockt dir wie Blutegel auf der Herzhaut, dann wieder hält sie die heil. Sie verlangt das absolute Wagnis und gibt dir dafür nichts als eine Handvoll Wortsaat.

Poesie ist freilich aggressiv. Sätze springen ins Auge und machen das Einsetzen neuer Augen notwendig. Bleiben im Hals stecken bis das Fleisch verdaut ist und das Gewölle ausgespuckt. Das Herz setzt aus und schlägt an ganz anderer Stelle weiter. Der Atem vergißt sich. Die Wahrnehmung ändert die Konturen und Farben. Doppelte Böden schieben sich in die altgewohnten Kulissen. Neue Realitäten ermorden alte.

Poesie kann allerdings keine Ordnung herstellen. Sie verursacht nur Durcheinander. Sie füllt jeden Winkel, jeden Weg. Wie Staub fängt sie sich in den Parkettritzen, du trittst dir Verssplitter in die nackten Fußsohlen, überall Worte und Bilder, aber wenn du ihn brauchst, findest du nie den richtigen Ton.

die poesie ist konsequent unfreundlich. nicht mal, wenn die sonne scheint. sie zerrt dich durch tiefen, in die du nie wolltest. dann lässt sie dich allein zurück. wie du wieder ans licht kommst, ist ihr egal.

Mit Poesie lässt sich kein TUSCH spielen, nur ein zarter Trommelwirbel; ein Streichorchester oder ein Bläserensemble mit Tasten oder Stiften aus Buchstaben dirigieren, laut und leiser werdend, mehr Moll als Dur. Poesie ist kein Marsch – TATATAM,TATATAM –, mehr ein zartes Gitarrensolo, manchmal ein wildes Bassriff oder ein Harfenklang, der sich in deine Seele frisst, um dort zu bleiben, statt dich mit GETÖNS zu betäuben.

Die Poesie kennt auch kein Erbarmen. Erst wenn alle Wirklichkeiten hingerichtet und auch noch die letzte Gewissheit totgebissen ist, wenn alle Jungfrauen zersägt und die Tiger verbrannt sind, das Entsetzen heruntergewürgt ist und Venussplitter in deinem Wiederkäuermagen alle Texturen entstellt haben, wenn keine Sinne mehr da sind, auf die noch Verlass ist, erst dann lässt sie zu, dass du dir einen Reim auf sie machst.

die poesie schmeckt schlicht nicht jedem. sauer mit lunge in dosen gepackt oder mit makrele in tomatensauce ist sie ziemlich eklig. am besten schmeckt sie als ravioli. nicht auszustehen als in text verpackte linsen mit speck. die mag aber so und so keiner. zu schwer zu verdauen.

auf Poesie liegst du jedenfalls nicht weich. kein Wunder bei der Auflagenhöhe. zudem haben die Wörter Nagelspitzen. nanopartikelscharf zielen sie durch die Epidermis bis unter das Leder deiner Haut, dringen noch tiefer ein in ungeahnte Schichten. Jeder Fakir kann dir davon ein Liedchen singen.

Poesie ist auch nicht die Vanille im gleichnamigen Rostbraten, denn eigentlich Knoblauch und scharf statt süß mit elends-langem Nachgeschmack statt rasch vergänglicher Glückseligkeit auf der Zunge. Kommt getarnt daher in irreführender Verkleidung; harmlos maskiert kaschiert sie schüchtern-lieblich ihre markante Würze, um uns noch am nächsten Tag und auch am übernächsten im Maul zu hängen und Wort-Mundgeruch zu verströmen.

die poesie ist NICHTS. schon immer war das so. buchstaben stehen wie wunder herum. geschichten bleiben in sich. die poesie ist nicht das krokodil vom kasperl. auch nicht der elefant im porzellanladen. schon gar nicht der rächer der enterbten. dazu fehlt ihr das theatrale moment. lieber ist sie wie der tänzelnde docht einer kerze, die vom wind beiläufig gelöscht wird. die poesie ist nicht sinnlich und voll von lust. gier ist ihr fremd. sie macht sich zwar auf, will das abenteuer der geschlechter. die vorsicht vor dem, was da kommen könnte, lässt jedoch das aufgeregtsein platzen. sie ist nicht im tun und auch nicht im sein. vielleicht ist sie nur in der möglichkeit. die poesie findest du nicht in gruppe 33 g, grab 29 in simmering. sie hat kein ehrengrab. namen gehören zu ihr, wie der schall und der rauch. die poesie ist kein anfang und kein ende. vielleicht ist sie das notwendige einatmen, ausatmen im größten wortspiel aller zeiten und alldem, was dazwischen liegt.

Mit Poesie lässt sich jedenfalls natürlich kein Ende finden, denn kaum wurde der letzte Reim zum Kaffee serviert, springt sie auf, um mit den Füßen ein neues Metrum zu probieren. Und hielte man sie auch fest, so würde ihr doch aus der Ferne ein quicklebendiges Oxymoron winken.

Poesie ist freilich ein Totalausfall, wenn es ums Haarefärben geht, schlimmer noch als Hennapulver, das sich wenigstens mit Wasser zu einer grünsüßlich stinkenden Hippiepampe rühren lässt, zwar klumpt und bröckelt, aber immerhin Bodenfliesen, Schlingfrottee und ersten Spinnweb in grelles Warnorange taucht. Poesie tut rein gar nix gegen das Ergrauen.

All das Unvermögen der Poesie gipfelt natürlich in ihrer Eignung zur Schullektüre. Ihre Verballhornung zum Unterrichtsstoff ist einfach und schmerzvoll. Nie wieder wirst du so gelitten haben wie in den Stunden, da Verse aus deiner Atemluft gerissen über die Schädelinnenseiten deiner Mitschüler verstrichen wurden. Während Blut und Werweißwas sich in dir verströmten und du besser deine Begierden ausloten, dem Regen zuhören solltest.

Poesie lässt dich keine Erleuchtung erfahren, obgleich sie den Anschein erweckt. Wie ein Laternenfisch trägt sie das Helle vor sich her, die leckere Lumineszenz, lockt mich hinab in die tiefste Tiefe, die ich so mag, verschenkt mich dann doch an den Miesmuschelgrund und lässt mich wieder mit nichts als offenen Fragen zurück. Sie jedoch jagt munter weiter und verspricht selbst den Seemöwen die schillerndsten Schuppen.

Poesie ist in ihrer rohen Form nicht raffiniert, sie weist auch nicht die notwendige Härte auf. Der Werkstoff wird bei der Raffinierung oftmals und kontinuierlich mit sich selbst verschweißt, Verunreinigungen werden ausgetrieben, Hohlräume geschlossen, das Material aufs Maximum verdichtet. Es gibt Befunde, die schlussendlich einen Härtegrad von 66,6 HRC nachweisen.

die poesie hat zudem keine leber und keine nieren. sie isst und trinkt ja schließlich nichts. sie lebt nur in unserem blut oder von diesem. nichts genaueres weiss man nicht.

Mit Poesie wird einem jedenfalls nicht warm, sie erfüllt einen nicht mit Musik, flutet einem nicht die Sinne und reißt niemanden mit oder auch nur aus dem Schlaf. In dem Raum zwischen zwei flach aufeinanderliegenden Grabsteinen segelt sie dir voraus. Und wie sie davonsegelt!

Poesie reicht freilich nicht ran an Kaugummi, wie er am Asphalt klebt an einem heißen Tag und weiße Fäden zieht, die einem bleiben, eine Woche oder so, tritt man herein und hebt den Schuh, ganz als sei man eine Marionette, von unten her geführt. Nein, die Klebkraft von Poesie ist eingeschränkt, und doch spielt sie uns, ganz fadenfrei und unsichtbar.

Die Poesie ist dir keine Hilfe, wenn es heißt, zu einem Ende zu kommen. Da tunkst du deine Feder beherzt in letztgültige Buchstaben, damit der Fall des Vorhangs hörbar werde, und sie weigert, sich taghell einzustimmen. Schraubt sich immer noch auf zu niegekannten Farbtönen, windet immer noch Heimatduft in Gehörgänge, webt immer noch vielstimmig deine Kulisse zu einem lichtblau klingenden Stoff und ist und ist und ist.

Poesie kann summa summarum in der Tat nichts, keinen Zahn ersetzen, verloren an zu viel Cola, erinnerst du dich? Als Studentin, in Schweden oben, das 2-Liter-Euter-Zuckerzeug, billiger als Wasser, und Gedichte schreiben ging nur Koffein-gedopt? 20 Stunden Dunkelheit drückten den Tag. Jetzt soll die Poesie sich an der Zahnbehandlung beteiligen. Ha! Komm ihr damit, und sie verdrückt sich auf Nimmerwiedersehen, arrividerci, ciao und bye-bye.