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bis ich zur mumie werde


tagebuch-performance mit bernhard fleischmann und fritz ostermayer
29. oktober 2012, 21.30 uhr, rhiz (1080 wien)


veranstaltung bis ich zur mumie werde
/ masahiko shimada

masahiko shimada

fritz ostermayer:

am 7.11. ist wieder "tagebuchtag", ein von jahr zu jahr anachronistischer werdendes datum in zeiten, in denen das veröffentlichte “privatleben” sich längst als eine form von massen-exhibitionismus im netz breitgemacht hat. das zeitgenössische tagebuch – der blog, facebook – dient nicht mehr der selbstvergewisserung und hinterfragung des erlebten und gedachten, sondern sucht “verwandte” adressaten, um sich der eigenen meinungen und gefühle im dialog zu versichern. daran ist per se nichts verwerfliches – nur bleibt dabei halt jede intimsphäre auf der strecke, also genau jener ort, an dem sich das verunsicherte und zerspragelte “ich” im schutz der privatheit erst definieren und sammeln könnte bevor’s wieder nach draußen in die wildnis geht.

ach ja – die wildnis: ein mann zieht sich in ein mooriges wäldchen außerhalb von tokyo zurück und protokolliert sein quälend langsames sterben. der mann führt ein tagebuch über seinen selbstmord durch verhungern, das nach der entdeckung der leiche gefunden wurde.

der bekannte japanische autor masahiko shimada war von dieser schier unfassbaren tat und den notizen des unbekannten so fasziniert, dass er seinem freund, dem avantgarde-musiker otomo yoshihide vorschlug, diese von ihm editierten texte als lesung mit musik aufzuführen. die uraufführung von “miira mi naru made” – auf deutsch: “bis ich zur mumie werde” – fand 1994 in tokyo statt.

1999 – auf einladung des welser “unlimited festivals” – kam es zur ersten aufführung des stücks außerhalb japans: europäische meister-improvisatoren trafen hier auf japanische meister der klassik mit ihren instrumenten wie koto und sho. ich hatte damals die ehre, das von eckhard derschmied ins deutsche übersetzte tagebuch des todes vorzulesen. ich kann mich noch gut an die beklemmende stille im saal erinnern, an eine andachtsstimmung fast wie bei einem requiem. je weiter das diarium fortschreitet und der tod sich nicht und nicht blicken lassen will, dafür aber die schmerzen und halluzinationen immer heftiger werden, umso banger wurde es mir als rezitator, und umso banger wurde es auch dem publikum. am ende herrschte totenstille. was sollte da auch beklatscht werden?

den bekannten schweizer filmemacher peter lichti inspirierte der welser mitschnitt von “miira mi naru made” (erschienen auf christof kurzmanns charhizma-label) zu seiner poetischen film-meditation “the sound of insects”. auf seiner homepage schreibt er dazu: “was mich von anfang an fasziniert hat, ist die verstörende sachlichkeit, mit der hier von einer überaus traurigen und in vielerlei hinsicht auch fürchterlichen begebenheit berichtet wird. leben und tod sind in der wertigkeit schlicht gleichgesetzt, wie im protokoll eines wissenschaftlichen selbstversuchs. der protagonist entzieht sich in völlige anonymität. da ist kein lamento, kein selbstmitleid, keine sentimentalität, im gegenteil, manchmal scheint gar eine unterschwellige (selbst-)ironie durch. mit seinem “dramatischen monolog” stellt shimada die klare forderung, selber eine haltung einzunehmen gegenüber der einmaligen möglichkeit des lebens. die abwesenheit jeglicher stellungnahme durch den autor bietet keinerlei trost oder versöhnung, sondern überlässt die antworten auf die irritierenden fragen ganz allein dem zuschauer.”

auch wir wollen das überlassen: dem zuhörer.

bernhard fleischmann (ein-mann-orchester des langsamen absterbens)

und

fritz ostermayer (todesprotokollführer)

schule für dichtung in kooperation mit dem rhiz

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