der zorn des zeitalters ist tief
dramolett- und mikrodrama-klasse zum thema wut und zorn in zusammenarbeit mit dem kabinetttheater wien.
3., 4., 11. und 12. juni 2019, klassenpräsentation als theateruraufführung im wiener schauspielhaus am 4.10.2019 im rahmen des diesjährigen sfd-festivals
der zorn des zeitalters ist tief
dramolett- und mikrodrama-klasse zum thema wut und zorn
von antonio fian, schriftsteller, dramatiker und essayist
&
julia reichert, autorin, regisseurin und puppenspielerin (kabinetttheater wien)
der zorn des zeitalters ist tief – dieses zitat aus heimito von doderers romangroteske “die merowinger oder die totale familie” könnte auch der titel unseres heurigen sfd-festivals im wiener schauspielhaus sein. dieses wird nun aber “gebenedeit sei die wut deines leibes” heißen und davon handeln, dass wir die wut nicht den wutbürgerInnen und den zorn nicht dem shitstorm-mob überlassen, denn: wütend sind wir selber.
in der großen tradition österreichischer wut-literatur sollen in fians klasse dialoge voller ingrimm und rage erarbeitet werden. die besten dieser mikrodramen werden von julia reichert und ihrem team als objekttheater inszeniert und im rahmen des festivals uraufgeführt.
antonio fian zur klasse:
dramolette, so wie sie in dieser klasse erarbeitet werden sollen, nehmen für sich in anspruch, eine eigenständige literarische form zu sein, nicht anders als gedichte oder erzählungen. häufig sind sie der satirischen literatur zuzurechnen, aber keineswegs immer. beckett, der meister der leeren bühne, ist so wenig satiriker wie der meister des kleinbürgerlichen ehedramas karl valentin, auch wenn sich bei beiden gut lachen lässt. die experimentellen stücke rené altmanns, stille, minimalistische impressionen, stehen in krassem gegensatz zu wolfgang bauers mikrodramen, diesen ungeheuren materialschlachten in minutenlänge.
material für dramolette findet sich, wie für alle literatur, allerorten, und zumindest genauso wie auf die gestaltung des vorhandenen materials kommt es darauf an, das richtige auszuwählen. während von den vielen heiteren anekdoten, die man, ob man will oder nicht, als dramolette-autor ständig erzählt bekommt, nur in ausnahmefällen eine wert ist, niedergeschrieben zu werden, fallen einem oft gänzlich unerwartet dialoge voll tiefsinn und trauer zu, wie beispielsweise dieser in dem matt erleuchteten stiegenhaus des altbauhauses, in dem ich wohne:
männerstimme (von unten, betrunken, polternd): moch a liacht, kanallje!
knabenstimme (von oben): is eh scho liacht, papa!
das, in kürzest möglicher form, ist ein dramolett.
wut gibt es in verschiedenen spielarten, als maßlose oder verhaltene, blinde oder ohnmächtige und viele mehr. es wäre wünschenswert, wenn die zu erarbeitenden "wutreden" ein möglichst breites spektrum davon abdeckten. wer sich einstimmen mag und nicht fürchtet, dadurch allzu sehr unter fremden einfluss zu geraten, dem sei die lektüre bzw. das anhören einiger beispiele empfohlen, etwa karl kraus' "antwort an rosa luxemburg von einer unsentimentalen" (fackel nr. 554-556), thomas bernhards "holzfällen", peter handkes "untertagblues", gerhard polts "longline" oder heino jaegers "pfarrer winterwieser".
ein kleiner tipp noch seitens der sfd: wenn wut sich unmäßig entäußert, kann sie auch ins lächerliche kippen. im besten fall entsteht dann aus einem negativen affekt ein positiver: lachen. remember louis de funès!
termine
12 unterrichtseinheiten:
mo, 3.6.: 17 bis 20 uhr
di, 4.6.: 17 bis 20 uhr
di, 11.6.: 17 bis 20 uhr
mi, 12.6.: 17 bis 20 uhr
ort: schule für dichtung, mariahilfer straße 88a/stiege III/7, 1070 wien
fr, 4.10.2019: klassenpräsentation im rahmen des sfd-festivals “gebenedeit sei die wut deines leibes” als figurentheater-uraufführung (inszenierung: julia reichert/kabinetttheater) im wiener schauspielhaus.
info >> https://sfd.at/newsflash/urauffuehrung-uebellaunige-mikro-dramen
begrenzte teilnehmerzah!
teilnahmegebühr: 120,- €
>> anmeldeformular (pdf download)
(warteliste)
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2 geförderte teilnahmen
wir bieten für diese klasse zwei geförderte plätze an, für die keine teilnahmegebühr anfällt.
bewerbungen bitte senden an: sfd@sfd.at mit:
- motivationsbrief
- kurzbio (max. 1 seite)
- kurze textprobe (mikrodrama/dramolett(e). max. 1 bis 2 seiten)
- adreßdaten
bewerbungsfrist: 29.4.2019
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antonio fian
*1956 in klagenfurt, seit 1976 schriftsteller in wien.
bekannt ist fian vor allem wegen seiner satirischen dramolette, in denen er (österreichisches) kultur- und alltagsleben pointiert-humoristisch wie schonungslos kommentiert. neben den kurzdramen, die im falter und standard in unregelmäßigen abständen erscheinen, schreibt er romane, erzählungen, essays und gedichte. er wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem österreichischen staatspreis für kulturpublizistik (1990), dem lessing-preis für kritik (2004), dem humbert-fink-literaturpreis (2014) und dem reinhard-priessnitz-preis (2018). für seinen roman “das polykrates-syndrom” (droschl 2014) wurde er für den deutschen literaturpreis nominiert.
aktuelle publikationen: “schwimmunterricht” (dramolette. droschl 2016), “mach es wie die eieruhr!“ (gedichte. droschl 2018)
2016 war antonio fian übrigens zu gast bei fritz ostermayer in "ein album für die ewigkeit" >> https://sfd.at/newsflash/ein-album-fuer-die-ewigkeit-wider-das-glatte-clips
julia reichert
*1950 in münchen. 1973 erscheint ihr lyrikband “gedichte aus asche” (ullstein). beginn des baus mechanischer figuren und musikautomaten. erste ausstellung anlässlich des nihilistenkongresses 1980 im goethe-institut in triest.
künstlerische leiterin, bühnenbildnerin, autorin, regisseurin – kurzum prinzipalin – ihres 1989 in graz zusammen mit christoph widauer gegründeten kabinetttheaters, das seit 1996 in wien ansässig ist.
im kabinetttheater treten figuren (“bewegte sachen”) neben schauspielerInnen und musikerInnen auf. von beginn an war es das einzige figurentheater im deutschsprachigen raum, das einen eindeutig literarischen schwerpunkt hatte. autoren und autorinnen wie h.c. artmann, peter ahorner, wolfgang bauer, franz josef czernin, gustav ernst, antonio fian, natascha gangl, gerhard kofler, rosa pock, gerhard rühm u.v.a. haben im auftrag des kabinetttheaters stücke geschrieben.
das repertoire umfasst inzwischen über 60 minidramen, die einen bogen von der jahrhundertwende bis zur jetztzeit beschreiben. theaterminiaturen z.b. aus dem expressionismus, dem dadaismus, der russischen und polnischen avantgarde, dem italienischen futurismus und von der wiener gruppe wurden zur aufführung gebracht.
www.kabinetttheater.at
sfd in kooperation mit kabinetttheater wien und schauspielhaus wien.